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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Herr Sohn gemacht. Ich hab ihn noch nicht gesehen.«
    Tatarski schaute nach oben. Was sich auf dem Bildschirm ereignete, kam ihm merkwürdig bekannt vor. Auf der Lichtung eines Birkenwäldchens stand ein Matrosenchor – dem Anschein nach zwielichtige Typen (Asadowski war leicht auszumachen, da er schön in der Mitte stand und der einzige war, an dessen Brust eine Medaille glänzte). Sie hatten einander um die Schultern gefaßt und sangen schunkelnd ihr stummes Lied. Vor ihnen posierte der strohblonde Solist. Jessenin hoch drei. Das Postament, auf dem er stand, hielt Tatarski zunächst für den Stumpf einer gigantischen Birke – aus der idealzylindrischen Form und den aufgemalten gelben Zitrönchen ließ sich jedoch schlußfolgern, daß eine Soft-Drink-Dose gemeint war, die eine Birke, wenn nicht ein Zebra assoziieren sollte. Im übrigen wies das geleckte Ambiente auf ein hohes Produktionsbudget hin.
    »Bomm-bomm-bomm«, groovten die schunkelnden Matrosen. Der Solist nahm die Hand vom Herz, streckte sie der Kamera entgegen und ließ seinen Tenor erschallen:
    Der Heimat verbunden,
vorm Bösen gefeit –
mit Birken-Sprite,
mit Birken-Sprite!
    Mit einer schroffen Bewegung drückte Tatarski die Kippe im Aschenbecher aus.
    »Schweinebande!« stieß er hervor.
    »Wer?« fragte Morkowin.
    »Wenn ich das wüßte. Sag mal, in welche Abteilung wollt ihr mich eigentlich stecken?«
    »Du wirst leitender Kreativer in der Kompromat-Abteilung. Und in Druckzeiten arbeitest du als Springer. Das heißt, wir werden einander zuarbeiten, nach dem Motto: Einer stützt sich auf den anderen, so wie die Schiffsjungen da, Seit‘ an Seit‘. Entschuldige, mein Lieber, sollte ich dich gegen deinen Willen in etwas hineingezogen haben. Der Plebs, der von alledem nichts weiß, hat fürwahr ein leichteres Leben. Der glaubt, es gäbe verschiedene Fernsehsender, verschiedene Betreiber. Dafür ist er der Plebs.«

Der islamische Faktor
    Wie es so geht: Du kommst mit deinem weißen Mercedes an einer Bushaltestelle vorbei, siehst die Leute, die voller Ingrimm, Gott weiß wie lange schon, auf ihren Bus warten, und dir fällt auf, daß einer von ihnen mit stumpfem, wohl gar neidischem Blick herübersieht. Und für eine Sekunde denkst du, dieses Gefährt – einem braven Bürger in Deutschland entwendet, das Zollverfahren im befreundeten Weißrußland noch anhängig, mit schon verdächtig klopfendem Motor, gefälschter Motorblocknummer sowieso – könnte der Beweis sein für den vollständigen und endgültigen Sieg über das Leben. Ein heißes Prickeln durchflutet den Körper; stolz wendest du den Blick von den Wartenden an der Haltestelle und möchtest im Grunde deines Herzens glauben, du hättest nicht umsonst all das hinter dich gebracht und wärest am Ziel.
    Solcherart wirkt in unseren Seelen der anale Wow!-Faktor. Sich seinem süßen Kitzel hinzugeben wollte Tatarski nicht gelingen. Vielleicht lag es an einer speziellen Form von Apathie, wie sie Vertreter des Mittelstandes (die ja auch ihre Haltestellen haben, zu denen sie bestellt und von denen sie nicht abgeholt werden) nach dem Regen gern einmal beschleicht. Vielleicht war er auch nur zu nervös: Ein Preview seiner Arbeiten stand bevor, bei dem Asadowski persönlich zugegen sein würde. Oder die Fehlermeldungen waren schuld, die er in letzter Zeit von seinem sozialen Radarsystem bekam.
    Betrachtet man das Geschehen vom Standpunkt der reinen Animation, so dachte er, während er seine Nachbarn im Stau einer flüchtigen Begutachtung unterzog, dann stehen bei uns die Verhältnisse kopf. Für den Silicon-Computer im Himmel, der diese ganze Welt zu rendern hat, ist ein verbeulter Saporoshez eine weit schwierigere Angelegenheit als ein neuer BMW, den sie drei Jahre lang im Windkanal zurechtgefönt haben. Alles bleibt wie immer an den Kreativen hängen. Aber eines wüßte man doch gern: Von welchem Fiesling stammt das Skript? Und wer ist der Big User, der da pizzakauend vor dem Bildschirm sitzt? Und die hauptsächliche Frage: Geschieht das alles wirklich bloß, damit irgend so eine Himmelsagentur mit irgend etwas wie Werbung ihren Schnitt machen kann? Sieht ganz danach aus. Die Welt fußt auf Plagiaten, wie man weiß.
    Der Stau begann sich endlich aufzulösen. Tatarski schaltete das Radio ein. Eine knödelnde, bisweilen jaulende Stimme schlug ihm auf die Ohren, es klang wie ein Sturm im Ofenrohr:
    Es rettet uns kein höheres Wesen,
kein Gott, kein Mulder, kein Tycoon.
Uns von dem Moloch zu

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