Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
und zögerte damit das multiple Organversagen um einige Stunden hinaus. Sie würde bald sterben.
»Das ist keine Übung. T - 22 Stunden 35 Minuten. Begeben Sie sich sofort zu ihren Notausstiegspositionen. Das ist keine Übung!« Anna äffte den Text der Durchsage nach. »Und warum tun wir nicht das, was uns die Durchsage die ganze Zeit sagt?«
»Sie denken an eine Evakuierung der Menschen im kryogenen Zustand?«, fragte die KI.
»Ja.« Anna wollte nicht tatenlos zusehen, wenn noch die Chance bestand, zumindest andere zu retten. Auch wenn eine Evakuierung schwierig sein sollte, sie hatten nichts zu verlieren.
»Das ist nicht möglich. Wir werden in der verbleibenden Zeit keinen bewohnbaren Planeten in einer habitablen Zone in ausreichend kurzem Abstand passieren.«
»Wir befinden uns also in einem Doppelsternensystem?«
»Das ist richtig.«
»Anzahl der extrasolaren Planeten in diesem System?«
»76.«
»Das sind einige. Und da ist keiner in der habitablen [25] Zone dabei?« Das konnte sich Anna kaum vorstellen.
»Das ist nicht richtig. Es gibt einen Planeten, der sich in der richtigen Entfernung zu den beiden Sternen bewegt, um flüssiges Wasser aufweisen zu können.«
»Gibt es alternative Planeten in diesem System?«
»Nein.«
»Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Perfekt! Denn nehme ich!«
»Wofür? Ich verstehe nicht.«
»Wir werden den Planeten Proxima nennen. Und wir werden umgehend eine Evakuierung einleiten!« Anna hatte sich entschieden.
»Das ist technisch nicht möglich ...«
»Das war ein Befehl!« Anna fiel der KI ins Wort.
»Wir wissen nicht, ob Proxima eine Atmosphäre hat. Wir wissen auch nicht, ob sie dem Menschen überhaupt ein Überleben ermöglicht. Und was noch schwerwiegender ist, wir kommen nicht dicht genug heran. Alle flugfähigen Sub-Systeme der Horizon, die wir für eine Notlandung nutzen können, sind nur für eine Landung aus dem Orbit eines Planeten ausgelegt. Wie sollen diese Probleme gelöst werden?«
»Wir lassen uns etwas einfallen!« Anna würde diese letzte Herausforderung annehmen. »Und mit deinem Namen fangen wir an. KI 56D71 inspiriert mich nicht. Eine Idee?«
»Für einen Namen?«, fragte die KI.
»Ich heiße Anna und dich nenne dich ab jetzt Jeremie.« Der Name war perfekt. Die Erinnerung an ihren längst zu Staub zerfallenen Vater würde sie stetig weiter antreiben.
»Sie haben das Kommando«, sagte Jeremie.
»Kann ich dann endlich meine Tasse Kaffee bekommen?«
***
XXXIII. T - 20 Planen
»Madame Sanders-Robinson, es ist mir eine besondere Freunde, Sie und Madame Hurlington auf unserer kleinen Vernissage begrüßen zu dürfen«, erklärte der grauhaarige Manager am Eingang des Centre Pompidou in vollendeter Höflichkeit und gebot den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma weder ihre noch die Eintrittskarte von Vanessa zu kontrollieren. Das Wetter an diesem Oktoberabend in Paris war kühl und trocken, die perfekte Kombination für einen Besuch der weltweit größten Salvator Dalí Ausstellung. Eine wirklich zuvorkommende Geste des Managers, befand Anna, vor allem weil sie überhaupt keine Eintrittskarten hatten. Das Privileg war allerdings nicht, die Karten nicht zu bezahlen, sondern aus einer der Limousinen der Hurlingtons auszusteigen und sich eine gut achthundert Meter lange Warteschlange zu ersparen.
»Danke.« Anna lächelte und betrat amüsiert in einem schwarzen Versace Cocktailklei d die Ausstellung. Historische Mode galt im dreiundzwanzigsten Jahrhundert als totschick. Ihre langen roten Haare trug sie zu einem kunstvollen Zopf geflochten. In Kombination mit dem geliehenen Brillantencollier fühlte sich Anna dabei beinahe wie eine Prinzessin. Vanessa kicherte, der Champagner schien ihr bereits auf dem Empfang des Botschafters gut geschmeckt zu haben. Dieses Wochenende gehörte eindeutig ihnen. In den letzten Jahren hatte Anna vor lauter Arbeit im SAOIRSE Projekt beinahe zu leben vergessen. Was sie in dieser Nacht nachholen wollte.
»Champagner?«, fragte ein blonder Kellner zuvorkommend. Es ging genauso weiter, wie vorhin. Vanessa nickte und nahm zwei Gläser vom Tablett.
»Der Kleine ist süß«, bemerkte Vanessa trefflich, während sie dem jugendlichen Kellner in Weggehen nachsah. Auch sie trug ein apartes dunkelblaues Kleid, von dessen Preis sich normale Menschen ein Auto gekauft hätten. Vanessa war nicht auf das Geld, das sie im Innenministerium verdiente, angewiesen. Ihre Familie besaß mehr als genug davon, womit sie keine
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