Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
Seine Körpertemperatur lag noch über 39 Grad Celsius, was zwar nicht lebensbedrohend war, sich aber auch besser entwickelt haben könnte. Rubens Kampf ums Überleben war noch nicht vorbei.
»Eigentlich müsste er tot sein«, sagte Sem.
»Eigentlich«, antwortete Elias.
»Du hast scheinbar Vaters langweilige medizinische Bücher wirklich gelesen.«
»Zumindest einige davon.«
»Finde ich gut.«
»Für Ruben. Für uns!«, sagte Elias, er hätte das auch für Sem getan.
»Er ist ein Arsch! Und du ein Weichei! Aber ... für Ruben! Und für uns!« Sem legte den Arm um seinen Nacken und zog Elias zu sich heran. »Danke für das Leben meines Bruders.«
»Ist das noch wichtig für dich?«, fragte Elias, der noch nicht vergessen hatte, dass Sem sie in Kürze verlassen wollte.
»Sicherlich.«
»Und warum willst du dann gehen?«
Sem sah kurz zur Seite »He, das ist nicht fair ... ich will nur nicht in diesem Sarg verrecken!«
»Das will keiner von uns«, antwortete Elias.
»Dann lasst uns gemeinsam gehen! Du willst doch selbst nicht an diesem Ort alt werden!«
»Gemeinsam, ja! Aber später, in Ordnung?« Elias wollte Sem nicht verlieren.
»Ja, ja ... in Ordnung. Wir gehen alle zusammen. Ich hab es verstanden. Und werde meinen Mund halten«, erklärte Sem beschwichtigend. Elias freute sich, ihm etwas mehr Geduld abringen zu können. Erleichtert boxte er ihm gegen den Oberarm.
»Und wir werden Ruben mitnehmen«, fügte Elias dem entschlossen hinzu. Sein Bruder würde ebenfalls nicht im Habitat sterben.
Inzwischen war es 21.30 Uhr, die erste der beiden Sonnen würde in knapp einer halben Stunde wieder aufgehen. Die Nacht hatte 76 Stunden angedauert. Elias und seine beiden Schwestern befanden sich in der Kommandozentrale. Sarai hatte die R-12 KI in der Zwischenzeit nicht erneut in Betrieb genommen. Mit dem Gerede konnte niemand etwas anfangen. Auch Vater sprach nicht erneut darüber, seine Daten replizieren zu wollen.
Sem arbeitete in der Küche, die sich unter dem Gemeinschaftsraum befand. Direkt neben den Sanitärräumen, den Vorrats- und Versorgungsräumen und dem Waffen- und Ausrüstungslager. Im Prinzip verbrachte er nahezu die ganze Zeit da unten. Er liebte seinen Job, wobei Elias nur zu gut wusste, dass sein Bruder damit seine Sorgen zu vertreiben versuchte. Man hätte ihm keinen größeren Gefallen tun können, als ihn einmal mit frischen Zutaten kochen zu lassen. Gemüse, Obst, Gewürze, das waren alles nicht mehr als Bilder auf einem Monitor. Niemand im Habitat hatte jemals einen frischen Apfel in der Hand gehalten.
Ruben ging es leider nicht viel besser. Das Fieber hielt sich beharrlich bei 39 Grad Celsius. Nach wie vor hatte er sein Bewusstsein nicht wiedererlangt. Aber es ging ihm auch nicht schlechter, was Elias als gutes Zeichen sehen wollte.
»Warum freut ihr euch eigentlich immer auf die Sonnenaufgänge?«, fragte Vater, der oftmals für ihn bemerkenswert menschliche Verhaltensweisen hinterfragte.
»Das vermittelt uns Hoffnung«, antwortete Kezia, die bei Elias stand und seine Hand hielt. Über dem Habitat war es minus 118 Grad Celsius kalt. Ohne die isolierende Schneeschicht über ihnen wäre es nicht über Jahre gelungen, die langen Frostnächte zu überleben. Die dafür benötigte Energiemenge hätte niemals aus dem verfügbaren Fischöl gewonnen werden können. Die Fusionsgeneratoren waren vor zwei Jahren leergelaufen. Von acht Wasserstofftanks hatte nur einer den Absturz überstanden. Und ausgerechnet der war fast leer gewesen. Nur Rubens Geschick hatten sie es zu verdanken, dass die Generatoren nun in der Lage waren, simples Fischöl zu verbrennen, um wenigstens einen Bruchteil der vorherigen Leistung zu erbringen.
»Ich wärme das Periskop vor und schiebe es durch das Eis«, erklärte Sarai und startete die passende Computerroutine. »Das Bild kommt gleich.« Auch dieses Gerät hatte Ruben gebaut, damit sie bei beliebigen Temperaturen die Sonnenaufgänge zumindest auf einem Bildschirm beobachten konnten. Ohne die Wärmevorrichtung würde jegliche Mechanik bei den Temperaturen und der Feuchtigkeit an der Oberfläche binnen kurzer Zeit festfrieren. Nur zu gerne würde Elias dieses Naturschauspiel einmal mit seinen eigenen Augen sehen wollen.
»Habe ich was verpasst?«, fragte Sem, der hastig in die Kommandozentrale gelaufen kam.
»Nein. Komm zu mir«, antwortete Kezia und nahm auch seine Hand. In den letzten Jahren hatten sie keinen Sonnenaufgang versäumt. Es wurden aber immer
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