Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
bekannt waren. Es war schon interessant, dass sich auf dieser fernen Welt viele Dinge ähnlich wie auf der Erde entwickelt hatten. Als ob die Evolution überall derselben Logik folgen würde: Wasser, Sonnenlicht, Pflanzen, Atemluft und Tiere, alles was Menschen zum Leben brauchen, gab es auf Proxima im Überfluss. Nur bei den Schneckenköpfen hätten es auch erheblich kürzere Zähne und ein freundlicheres Wesen getan.
Kira kletterte auf einen der Bäume, an dessen Ästen zwischen den Blättern zahlreiche faustgroße Früchte hingen. Skeptisch nahm sie eine und roch vorsichtig an ihr. Ob das Ding essbar war? Mit dem Fingernagel ritzte sie behutsam in das Fruchtfleisch, es roch köstlich, was aber nichts heißen musste. Von den wenigen essbar anmutenden Früchten, die bisher auf Proxima identifiziert wurden, war die eine Hälfte giftig und die andere löste starke Halluzinationen aus. Kira probierte ein kleines Stück und wartete. Ohne dass etwas passierte. Bis auf den Hunger, der ihre Ratio immer weiter in die Ecke drängte. Für einen Stein würde sie ohnehin nicht viel zu essen bekommen.
»Du kannst die Frucht essen«, sagte ihr wieder dieser nackte Kerl im Kopf und grinste sie dabei unverschämt, auf dem Ast neben ihr sitzend, an. Da sie auch mit leeren Magen zu wirren Tagträumen neigte, was sollte ihr also passieren?
Nach drei Früchten atmete Kira das erste Mal wieder regelmäßig ein und aus. Das seltsame Obst schmeckte hervorragend. Und wenn auch der nackte Kerl in ihren üblichen Tagträumen gleich rosa Punkte auf der Haut haben sollte - was machte das schon.
Kira hatte sich wieder ausgezogen und war in den See abgetaucht. Zwar gab es hier ähnlich wenig weiße Steine wie in den anderen Höhlen, aber mit etwas im Magen fühlte sie sich unglaublich gut. Diesen Ort würde sie sich merken. Ein Wunder eigentlich, dass kein anderer Wassergänger vor ihr solche Höhlen mit Bäumen entdeckt hatte. Ein beinahe magischer Ort. Zufrieden schwamm sie zum Ufer und ruhte sich aus. »Hier gefällt es mir«, sagte sie leise.
Mit dem Po im Wasser dachte sie an ihre Eltern. Claire hatte ihr früher erzählt, dass sie auf der Erde in Nordamerika aufgewachsen war. Kira kannte diese ihr noch fremdere Welt nur von Bildern. Eine Stadt wie New York mit vierzehnhundert Meter hohen Wolkenkratzern flößte ihr reichlich Respekt ein. Die Reise durch den Raum und die Wiederbelebung in den Kryobetten hatte die Menschen verändert. Fast alle hatten Gedächtnislücken und einige konnten sich auch an gar nichts mehr erinnern. Als ob ihr Leben erst mit zwölf Jahren begonnen hatte. Womit sie an sich klargekommen wäre, Kira hatte bei ihren Tagträumen eher das Gefühl, zu viele anstatt zu wenige Erinnerungen im Kopf zu haben. Auch wenn das keinen Sinn machte. Neben der modernen Sprache, die von allen gesprochen wurde, konnte sie auch die alten europäischen Sprachen, wie Englisch, Deutsch, Spanisch oder Französisch verstehen, die teilweise in alten Schulvideos im Geschichtsunterricht mit Untertiteln gezeigt wurden. Warum sie das konnte, wusste sie nicht. Niemand sonst auf Proxima beherrschte alte Sprachen, weswegen Kira ihre Fähigkeiten auch besser für sich behielt. Auch Claire hatte sie davon nichts erzählt, die ansonsten alles über sie wusste.
Das liegt an der Technik, hatte ihr Claire stets erklärt, als sie über böse Träume berichtete, darüber brauchst du dir keine Sorgen machen. Das konnte sie wie kaum eine andere, ihr Mut machen, wofür Kira sie auch liebte. Claire war schon Mitte zwanzig und hatte fünf Kinder. Süße Kinder, aber dazu war Kira noch nicht bereit.
Andrej, der Vater der Kinder, leitete das Dorf, in dem sie lebten. Mit harter Hand. Ihn mochte sie nicht, sie hatte sogar Angst vor ihm. Vermutlich hatte sie es nur Claire zu verdanken, dass er Kira noch nicht für ein paar Ersatzteile meistbietend verhökert hatte.
Wie wohl Düsseldorf ausgesehen hatte? Kira dachte an die europäische Stadt und ging im Gedanken über eine prächtige Allee mit wunderschönen Geschäften. Sie konnte sogar die Preisschilder der Kleider in den Schaufenstern erkennen. Das war nicht ihre Welt, aber neugierig machte sie schon.
Kira zog sich erneut an und ging weiter. Am Ufer des Sees entdeckte sie einen Weg, der in dieser Form kaum natürlich entstanden sein konnte. Ob die Schneckenköpfe Wege pflastern konnten? Das war schwer vorstellbar. Die ganze Höhle wirkte unnatürlich, fast eher wie ein Garten, in dem die Bäume wie ein
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