Genesis Secret
schreiben.
Da gab es nur ein großes Problem, was das Weitermachen anging: Rob wusste nicht, wie Christine dazu stand. Der Zwischenfall im Museum war extrem beängstigend gewesen. Er glaubte, die jüngsten Geschehnisse einigermaßen wegstecken zu können, weil er an Gefahren gewöhnt war. Er hatte den Irak verkraftet. Gerade noch. Konnte er damit rechnen, dass Christine ähnlich abgebrüht war? War das zu viel verlangt von ihr? Sie war Wissenschaftlerin, keine Krisenberichterstatterin. Er trank seine Cola aus und ging zum Abfallkorb, um die Dose wegzuwerfen. Als er zurückkam, sah ihn Christine mit einem verhaltenen Lächeln forschend an. »Eigentlich willst du gar nicht nach Hause, habe ich recht?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»So finster, wie du immer wieder auf die Anzeigetafel starrst, als wäre sie dein schlimmster Feind.«
»Entschuldigung.«
»Mir geht es genauso, Robert. Es gibt einfach zu vieles, was noch ungeklärt ist. Da können wir doch nicht einfach weglaufen, oder?«
»Und … was sollen wir deiner Meinung nach tun?«
»Meine Freundin Isobel Previn besuchen. Sie lebt hier.«
Eine halbe Stunde später stiegen sie vor dem Terminal in ein Taxi; nach weiteren zehn Minuten brausten sie über die Autobahn: mitten hinein in das Tohuwabohu von Istanbul. Unterwegs weihte ihn Christine in die Lebensgeschichte Isobel Previns ein.
»Sie hat lange in Konya gelebt und in Catalhöyük mit James Mellaart gearbeitet. In Cambridge war sie meine Lehrerin.«
»Richtig. Jetzt erinnere ich mich wieder. Das hast du mal erwähnt.«
Rob schaute aus dem Fenster des Taxis. Hinter Überführungen und Wohnsiedlungen konnte er eine riesige, von vier hohen Minaretten umgebene Kuppel erkennen: die Hagia Sophia, die große Kathedrale von Konstantinopel. Fünfzehnhundert Jahre alt.
Istanbul, schien es, war ein kurioser und sehr lebendiger Ort. Uraltes Gemäuer prallte aufblitzende Wolkenkratzer. Die Straßen waren voll mit westlich aussehenden Menschen: Mädchen in kurzen Röcken, Männer in schicken Anzügen - aber dann kamen sie wieder an sehr orientalischen Vierteln mit rußigen Schmieden, buntbehängten Wäscheleinen und verschleierten Müttern vorbei. Und das alles war umgeben - man konnte ihn zwischen den Wohnblöcken und Bürohochhäusern hindurch immer wieder aufblitzen sehen - vom gewaltigen Bosporus, der großen Meerenge, die Asien von Europa, den Westen vom Osten trennte - die Barbaren von der Zivilisation. Je nachdem, auf welcher Seite man lebte.
Christine rief ihre Freundin Isobel an. Rob schloss aus dem, was er von dem Telefonat mitbekam, dass Isobel hocherfreut war, von ihrer ehemaligen Schülerin zu hören. Er wartete, bis Christine das Gespräch beendet hatte, dann fragte er: »Und wo wohnt sie?«
»Sie hat ein Haus auf einer der Prinzeninseln. Wir nehmen im Hafen eine Fähre.« Christine lächelte. »Es ist sehr schön dort. Und sie hat uns eingeladen, bei ihr zu wohnen.«
Rob war sofort einverstanden.
Christine fügte hinzu: »Möglicherweise kann sie uns auch bei der Lösung der … archäologischen Rätsel helfen.«
Die schaurige kleine Mumie in der Amphore, dem Ölkrug. Während der Taxifahrer über die vielen Lkws fluchte, wollte Rob von Christine mehr über die Kanaaniter wissen.
»Ich habe mal in Teil Gezer gearbeitet«, sagte Christine. »Das ist eine Grabungsstätte in den Hügeln Judäas, eine halbe Stunde von Jerusalem entfernt. Eine kanaanitische Stadt.«
Inzwischen fuhr das Taxi bergab. Sie waren von der Hauptstraße abgebogen und krochen durch überfüllte, von Menschen wimmelnde Straßen.
»Bei den Kanaanitern war es Brauch, die erstgeborenen Kinder lebendig in Krügen zu begraben. Wir haben in Teil Gezer mehrere davon gefunden. Babys in Krügen wie die im Depot. Deshalb glaube ich, dass das, was wir im Keller des Museums gefunden haben, ein Menschenopfer ist.«
Das fürchterliche Bild des Babygesichts bemächtigte sich Robs Gedanken. Der schreckliche stumme Schrei im Gesicht des kleinen Wurms. Er schauderte. Wie konnte jemand so etwas tun? Ein Kind lebendig begraben? In einem Krug? Warum? Was war der evolutionäre Zweck? Was brachte jemanden dazu, so etwas zu tun? Welcher Gott verlangte das? Was war in Göbekli passiert? Gerade als das Taxi auf eine belebte Hafenpromenade bog, kam ihm ein neuer Gedanke. »Hatte nicht auch Abraham irgendetwas mit den Kanaanitern zu tun?«
»Ja«, sagte Christine. »Als er Harran und Sanliurfa verließ, zog er nach Süden ins Land der
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