Genesis Secret
Problemen.«
27
Der verweste, halb mumifizierte Leichnam des Babys lag auf dem Boden. In der Luft hing der Gestank jahrtausendealter Zersetzung. Über den Regalen des Museumsdepots funzelten nackte Glühbirnen. Die heranstürmenden Männer waren groß und kräftig, bewaffnet und wütend. Rob glaubte, einige von der Grabung zu kennen. Kurden. Zumindest sahen sie kurdisch aus.
Es gab nur einen Zugang zum Depot. Und der Weg dorthin war von diesen bedrohlichen Gestalten versperrt. Acht oder neun Männer. Einige von ihnen hatten Schusswaffen: eine alte Pistole; eine Flinte; ein nagelneues Jagdgewehr. Der Rest war mit riesigen Messern bewaffnet, eins so groß wie eine Machete. Rob warf Christine einen schuldbewussten, zerknirschten Blick zu. Sie lächelte traurig und verzweifelt. Und dann trat sie auf Rob zu, streckte den Arm aus und drückte seine Hand.
Sie wurden festgenommen und getrennt. Rob packten die Männer am Kragen, Christine an den Armen. Der Größte von ihnen, allem Anschein nach ihr Anführer, blickte den Seitengang hinunter zu der zerbrochenen Urne und dem bedauernswerten kleinen Leichnam, aus dem diese eigenartige stinkende Flüssigkeit sickerte. Er zischte seine Begleiter aufgebracht an, und sofort lösten sich zwei der kurdischen Männer von der Gruppe und verschwanden in dem Seitengang, vermutlich um den ekligen kleinen Haufen verwesenden Fleisches zu beseitigen.
Rob und Christine wurden aus dem Depot geführt. Einer der Männer, die Rob festhielten, drückte ihm eine Pistole an die Wange. Der kalte Lauf roch nach Schmieröl. Zwei andere Männer stießen Christine vor sich her. Der große Mann mit dem Jagdgewehr bildete mit zwei weiteren Männern die Nachhut.
Wohin brachten sie sie? Rob spürte, dass auch die Kurden Angst hatten, vielleicht genauso viel wie er und Christine. Aber zugleich machten die Männer den Eindruck, als wären sie zu allem entschlossen. Sie schoben und zogen Rob und Christine an den langen Reihen antiker Gegenstände entlang, vorbei an Wüstendämonen, römischen Feldherrn und kanaanitischen Sturmgottheiten. Vorbei an Anzu und Ishtar und Nimrud.
Sie stiegen die Treppe zum Hauptsaal des Museums hinauf. Tapfer stieß Christine französische Beschimpfungen aus. Sie weckte Robs Beschützerinstinkt, begleitet von heftigem Schuldbewusstsein. Er war hier der Mann. Er sollte in der Lage sein, etwas zu tun. Heldenhaft zu sein. Den Kurden die Messer aus den Händen kicken, die Kidnapper zu Boden ringen, Christines Hand ergreifen und sie retten, sie hinter sich her in die leuchtende Freiheit ziehen.
Aber so war es im Leben nicht. Sie wurden abgeführt wie gefangene Tiere, langsam, aber bestimmt: ihrem sicheren Schicksal entgegen. Und das war … was genau? Wurden sie entführt? Wollten die Entführer die Weltöffentlichkeit auf sich aufmerksam machen? Waren diese Typen Terroristen? Was steckte hinter alldem? Er hoffte, die Kurden wären Polizisten. Aber er war sich ziemlich sicher, dass sie keine waren. Sie konnten keine sein. Das war keine offizielle Festnahme. Diese Männer umgab eine Aura von Heimlichtuerei und Schuldbewusstsein - und die Bereitschaft, zum Äußersten zu gehen. Bilder von Enthauptungen schossen ihm durch den Kopf. Von diesen armen Teufeln im Irak, in Afghanistan und Tschetschenien. Wie sie auf den Boden gedrückt wurden. Und dann das Messer, wie es durch Adamsapfel und Luftröhre sägte. Das gasartige Entweichen des Atems, während der kopflose Körper weiter Luft und Blut pumpte, bevor er zu Boden sackte. Allahu akhbar. Allahu akhbar. Die grobkörnigen Internetvideos. Das Grauen. Ein Menschenopfer live im World Wide Web.
Christine schimpfte immer noch. Rob wand und wehrte sich, aber die Männer hatten ihn fest im Griff. Er konnte kein Held sein. Er konnte höchstens versuchen zu schreien. »Christine?«, rief er. »Christine?«
Hinter sich hörte er: »Ja!«
»Bei dir alles klar? Was …«
Eine Faust knallte auf Robs Mund. Er spürte, wie sich sein Gaumen mit heißem salzigem Blut füllte. Der Schmerz ging ihm durch und durch, seine Knie wurden weich.
Der Anführer kam nach vorn, sah ihn an. Er hob Robs blutendes Gesicht an und sagte: »Nicht reden! Nicht sprechen!«
Das Gesicht des Anführers war nicht grausam. Es wirkte eher … resigniert. Als täten er und seine Männer etwas, was sie tun mussten, aber nicht unbedingt tun wollten. Etwas wirklich Schreckliches …
Eine Hinrichtung zum Beispiel.
Rob beobachtete, wie einer der Kurden langsam und
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