Genom
voller Pflanzen.
Angenehm kühle Luft erwartete sie, als sie den Klimavorhang hinter sich gelassen hatten. Die Temperatur im Inneren war perfekt und glich auch nicht dem arktischen Klima in Tomuk Ginnyys Behausung. Daraufhin entspannte sich Ingrid ein wenig. Ihr Gastgeber mochte vorsichtig, exzentrischund ein eingefleischter Eremit sein, aber er war auch ein Mensch.
Wie sie kurz darauf herausfinden sollte, war »exzentrisch« in Bezug auf Yabby Wizwang noch eine deutliche Untertreibung.
Der mit einem T-Shirt und Shorts bekleidete Junge, der sie begrüßte, schien etwa zehn Jahre alt zu sein. Er hatte lockiges Haar, braune Augen, eine schlanke Gestalt sowie eine glatte und makellose sonnengebräunte Haut und erhob sich von dem Holzstuhl, dessen Sitzfläche aus einem riesigen Zypressenstamm angefertigt worden war, um sie zu begrüßen. Ingrid lächelte, als sie diesen unerwarteten Anblick in sich aufnahm. Zwar hatte sie nie als Kinderärztin praktiziert, aber gelegentlich mit Kindern und ihren unausweichlichen Krankheiten zu tun bekommen. Jetzt legte sie die Hände auf die Knie und beugte sich lächelnd zu ihm herab.
»Hallo. Wir sind hier um … ich schätze mal, deinen Vater zu sehen …«
»Mein Vater ist seit sechzig Jahren tot, aber wenn Sie den Anblick und den Gestank ertragen können, lässt sich da bestimmt was arrangieren.« Obwohl sich seine Augen auf Höhe ihrer Brust befanden, starrte der Junge ihren Unterkörper an. »Tomuk sagte, Sie wären Ärztin. Für eine Natural haben Sie echt schöne Beine.«
»Wie bitte?«, stammelte sie verwirrt.
»Alles zu seiner Zeit.« Der Junge drehte sich um und winkte ihnen zu. »Kommen Sie mit, dann fangen wir an. Normalerweise gewähre ich Gästen fünf Minuten Gewöhnungszeit, aber ich habe heute noch mehr vor, als Ihnen zu helfen, daher können Sie mich einfach anstarren, während ich arbeite.«
Whispr bekam den Mund fast nicht mehr zu. Yabby Wizwang war der wohl perfekteste Meld, den er je gesehen hatte.
Als er seine Begleiterin darauf hinwies, wollte ihm Ingrid das zuerst nicht glauben.
»Woher willst du das wissen?«, flüsterte sie und wartete, dass er zu ihr aufschloss. »Er sieht doch aus wie ein Naturalkind.«
»Das ist doch das Schöne daran.« Als lebenslanger Meld versuchte Whispr gar nicht erst, seine Bewunderung für die Kulmination zahlloser chirurgischer Eingriffe zu verhehlen, die ihr Gastgeber hinter sich haben musste. »Es ist leicht, jemanden so zu manipulieren, dass er wie ein Meld aussieht. Ein Meld hinzukriegen, das einen Natural perfekt imitiert, ist etwas, für das man nicht nur Geld, sondern auch verdammt gute Fähigkeiten benötigt.« Er deutete auf die kindliche Gestalt, die sie tiefer in den Bauch des überwucherten Schiffes hineinführte. »Der Chirurg oder die Gruppe aus Biochirurgen, die dafür verantwortlich sind, waren ebenso Künstler wie Ärzte.«
Ingrid war noch immer nicht bereit, den Schlussfolgerungen ihres Begleiters zu glauben. »Entschuldigen Sie die Frage«, erkundigte sie sich an ihren Gastgeber gewandt, wobei es ihr völlig egal war, wie er die Frage aufnehmen mochte, »aber wie alt sind Sie?«
Der Junge warf ihr über die Schulter hinweg einen Blick zu. »Ich werde nächsten Monat vierundsiebzig, meine Hübsche. Und nur damit Sie es wissen, es gibt einen Teil von mir, der nicht verändert wurde. Sie haben wenigstens eine Stunde Zeit, um zu erraten, um welchen es sich handelt.«
Der ist definitiv keine zehn , erkannte sie in diesem Moment. Aber warum sollte man unglaublich viel Zeit, Geld und Schmerzen investieren – dafür? Um für alle Ewigkeit wie ein Kind auszusehen? Im Laufe ihrer Studien und ihrer Karriere war sie Hunderten von Melds begegnet, aber noch nie einemwie diesem. Bis jetzt war auch noch nicht zu erkennen gewesen, dass sich ihr Gastgeber als Peter Pan oder eine andere Kinderfigur aus der Literatur oder der Kunst sah. Warum sollte man all das durchmachen, was für ein solch spezielles, eigenartiges und bewusst einschränkendes Meld erforderlich war? Das wollte sie ihn unbedingt noch fragen und sich außerdem nach der Herkunft seines seltsamen Spitznamens erkundigen.
Sie stiegen eine Treppe hinunter, die zu einem Raum führte, der unter der Wasseroberfläche lag. Er war so vollgestopft mit elektronischen Geräten, dass kaum genug Platz für den eigenwilligen Schiffsbesitzer und seine Gäste blieb. Wizwang setzte sich auf einen bequemen Stuhl, dessen von innen heraus gekühlte Polsterung sich an
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