Genosse Don Camillo
Soldatenfriedhof der Italiener befindet ?«
Während sie sprachen, hatten
sie eine schöne Strecke zurückgelegt, und schon sah man die Hecke und die große
Eiche.
Diese große Eiche war auf der
Rückseite der Fotografie mit der Skizze des Feldgeistliche n deutlich zu sehen.
»Beeile dich !« befahl Don Camillo und beschleunigte seine Schritte. Als sie beim Kanal
angelangt waren, hielt er an.
»Dies ist die Straße auf deiner
Skizze. Dort ist der Karrenweg, das ist die Hecke längs des Grabens, und dort
ist die Eiche .«
Er lief abermals, gefolgt vom
Genossen Tavan, den vereisten Graben entlang und stieg die Böschung bei der
großen Eiche hinauf.
»Da ist der Friedhof«, erklärte
er und deutete auf das Feld mit den zarten Kornpflänzchen. »Hier ist dein
Bruder begraben .«
Er lüftete den Efeubehang,
zeigte ihm das Kreuz, das Datum und das in die Rinde gegrabene Wort.
Der Genosse Tavan blickte auf
das Kornfeld und die Hand, die das Kerzchen umklammerte, zitterte.
Don Camillo trat ein paar
Schritte in das Kornfeld, beugte sich nieder und machte ein Loch in die Erde.
Der andere begriff, und nachdem er bei ihm war, stellte er das Kerzchen in das
Loch und zündete es an. Als er sich wieder erhoben hatte, betrachtete er das
Lichtlein ein Weilchen, mit der Mütze in der Hand.
Don Camillo zog sein Messer aus
der Tasche und stach eine winzige Scholle mit drei zarten Weizenpflänzchen aus
der harten braunen Erde.
In der Tasche hatte er den
Aluminiumbecher, der ihm als Kelch diente. ›Ich werde einen andern finden‹,
dachte er, während er ihn mit der Scholle füllte.
»Bring ihn deiner Mutter nach
Hause«, sagte er zum Genossen Tavan, während er den Becher in dessen Hand gab.
Sie kehrten an den Rand des
Feldes unter die Eiche zurück.
»Bekreuzige dich nur, Genosse«,
sagte Don Camillo zum Genossen Tavan. »Auch ich bekreuzige mich !«
Sie bekreuzigten sich. Und das
Flämmchen der Kerze, das in seiner Nische vom Winde geschützt war, zuckte.
Ein Hupenzeichen brachte sie
auf den Rückweg.
Ehe sie den Autobus erreichten,
hielt Don Camillo an.
»Genosse«, sagte er mit ernster
Stimme, »deine Mutter wird zufrieden sein, doch die Partei könnte dem, was wir
taten, nie zustimmen .«
»Das kümmert mich keine Laus«,
erwiderte mit fester Stimme der Genosse Tavan.
Und er hielt das Becherchen,
das die Erdscholle und die drei Getreidepflänzchen barg, mit unendlicher
Sorgfalt fest, als habe er zwischen seinen groben Fingern etwas Weiches und
Lebendiges.
Die Zelle beichtet
I n dem Zug nach Moskau befand
sich wenig Volk. Don Camillo war allein im Abteil, weil sich Peppone, als er
sah, daß jener sein bekanntes Büchelchen »Maximen Lenins« hervornahm,
fortgeschlichen hatte, um mit der Genossin Nadia Petrowna und dem Genossen
Oregow zu plaudern, die ihr Büro im ersten Abteil des Wagens eingerichtet
hatten.
Don Camillo legte sein
Zwergbrevier weg und zog sein Notizbuch aus der Tasche, um seine
Reisebemerkungen zu ergänzen: » Donnerstag acht Uhr, Kolchose Tifiz, Stephan, Friedhof, Totenmesse,
Genosse Tavan. – 15 Uhr Abfahrt mit der Eisenbahn . ..«
Donnerstag? Erst Donnerstag?
Es schien ihm nicht möglich zu
sein, aber er blätterte in seinem Kalenderchen und mußte sich überzeugen, daß
er sich erst seit neunundsiebzig Stunden in Rußland befand.
Der Abend dämmerte. Kein Baum,
kein Haus durchbrach die Eintönigkeit der ungeheuren, gewellten, vom Wind
gepflügten Ebene. Man sah nur Kornfelder, sie sich unendlich aneinanderreihten
und die man sich unschwer als ein wogendes Meer goldener Ähren vorstellen
konnte. Aber nicht einmal die leuchtendste Sonne der Phantasie vermochte das
von Traurigkeit durchfrorene Herz Don Camillos zu erwärmen.
Don Camillo dachte an sein
Tiefland; an den Nebel, an die vom Regen getränkten Felder, an die schlammigen
Straßen. Das war eine andere Traurigkeit. Unten im Tiefland vermochte kein
Wind, kein Frost jene menschliche Wärme auszulöschen, die aus allen vom
Menschen berührten Dingen drang.
Selbst ein unten im Tiefland
inmitten der Landschaft verlorener und im dichtesten Nebel begrabener Mensch
fühlt sich nie von der Welt abgesondert. Ein unsichtbarer Faden bindet ihn
immer an die andern Menschen und an das Leben, das uns Wärme und Hoffnung
vermittelt.
Hier in Rußland band kein Faden
den Menschen an die andern Menschen. Hier war ein Mensch wie ein Backstein:
Zusammen mit den andern Menschen bildet er eine Mauer, war notwendiger Teil
eines festen Gefüges.
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