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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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33 Sekunden ein.
    Im vierten Viertel wird es noch einmal knapp, aber Alba bleibt ruhig. Zum ersten Mal in diesem Jahr gewinnt Berlin gegen Bamberg. »Fuck Freak City!«, schreit Sven in der Kabine, und Femerling schimpft über seine 33 Sekunden auf dem Feld. Er will mehr. Alle wollen mehr.
    »Diese Mannschaft«, sagt Konsti, »ist ein sehr langsam anspringender Motor. Aber sie fährt gut. Sie lässt nicht locker. Sie will.« Er wiederholt den Satz wie ein Mantra. »Sie will.« Jenkins hat 23 Punkte erzielt, und die Berliner haben das Spiel unter den Körben kontrolliert – Kyle Hines hat nur drei Punkte gemacht. Baldi lächelt, weil seine Weissagung wahr geworden ist. Es steht eins zu eins. »Noch zwei!«, sagt Coach Katzurin und hebt die Faust. Huddle. Duschen. Der Bus nach Bamberg fährt in zwei Tagen.

    EINE WOCHE VOR DER ENTSCHEIDUNG bekommt Tommy Thorwarth Post. Obwohl sich der Bamberger Trainer Chris Fleming längst bei ihm für das Handgemenge mit dem Fan aus der ersten Reihe entschuldigt hat, ist Ende der Woche ein Fax des Schnurrbarts in Berlin angekommen, vertreten durch eine Anwaltskanzlei. Der Anwalt soll der Schwager des Schnurrbarts sein. Schnurrbart will Geld, 1500 Euro. Er behauptet, massive körperliche Schäden aus der Begegnung mit Tommy davongetragen zu haben. Hämatome, erhebliche Schmerzen, so was. Zudem habe Tommy ein Friedensangebot Schnurrbarts lautstark abgelehnt. Alle wissen, dass das ein schlechter Scherz ist. Der Mann hat sich das Spiel in aller Ruhe zu Ende angesehen. Auf meinen Fotos freut er sich über den sich abzeichnenden Sieg. Aber der Brief lässt uns nervöser werden. Zumindest denken Mithat und Tommy und die Geschäftsstelle länger darüber nach als nötig. Zumindest denken wir einige Minuten an Dinge, die mit dem Spiel nichts zu tun haben. Zumindest bindet der Brief Gedanken, zumindest raubt er eine weitere Winzigkeit Konzentration.
    Die Anspannung weitet sich aus. Mithat entdeckt beim Morgentraining eine Kamera über der Bamberger Haupttribüne. Vom Spielfeldrand ist die Kamera nicht zu sehen. Wir haben uns oben auf die Tribüne gesetzt, um einen besseren Überblick über die Halle zu haben. Alles ist vorbereitet. Auf allen Plätzen liegen die roten Klatschpappen, die sich heute Abend in den Händen der Bamberger in ein ständiges Tosen verwandeln werden. Auf den Plätzen für die mitgereisten Berliner liegen keine Pappen.
    Die Kamera ist neben der Plattform für die Fernsehtotale unauffällig an die Wand geschraubt und auf das Spielfeld gerichtet. Ein schwarzes Gitter schützt sie vor Entdeckung und Demontage. Mithat prüft den Winkel und die Ausrichtung. Für eine Sicherheitskamera hängt sie an einem ungewöhnlichen Ort und filmt ungewöhnliche Dinge: das Spielfeld, auf dem Alba Berlin gerade die taktischen Variablen für das dritte Finalspiel trainiert. Die Mannschaft läuft noch einmal durch die Neuheitenund Anpassungen: wie man Tadija gegen Šuput isolieren will, weil Šuput ihn nicht halten kann (Tadija könnte der beste Vierer der Liga sein, wenn sein Kopf zuverlässiger funktionieren würde). Wie die Bamberger Pleiß-Eröffnung zu kontrollieren ist und wie man die Überlegenheit Miros gegen den jungen Center ausspielen kann. Wie wir den Raum besser aufteilen, damit die Bamberger Schützen seltener frei stehen.
    »Ist das Teil an?«, fragt Mithat, und die Kamera blinkt, als wolle sie um Ruhe und Konzentration bitten. »Nee, oder?« Mithat guckt kurz verwirrt. Dann klemmt er eine Klatschpappe vor die Kameralinse.
    Ich erinnere mich an die katastrophale 52:103-Niederlage im Dezember, als Coach Pavi ć evi ć im bereitgestellten Wasserkasten ein paar eingetrübte Flaschen fand. Schwebeteilchen in geschlossenen Flaschen sind verdächtig, also hatte er sie mit nach Berlin nehmen lassen. »You never know«, hatte er gesagt und Hi-Un die Flasche in die Hand gedrückt. Es war ihm um Kontrolle sämtlicher Details gegangen, um lebensmittelchemische Beweise. Zu der Untersuchung war es dann nicht gekommen, denn die Niederlage war zu verheerend gewesen. Die Spieler hatten miserabel gespielt. Sie hatten apathisch gewirkt, nicht vergiftet. Jegliche Untersuchung hätte lächerlich gewirkt. Baldi sprach später von einem System der Ausreden und Erklärungen, das sich durch die erste Hälfte der Saison gezogen hatte. Trotzdem hatten wir jetzt eigene Wasserkästen dabei.
    Vor dem dritten Finalspiel verstopft Mithat also die Kamera, von der wir nicht wissen, ob sie das Berliner

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