Gentlemen, wir leben am Abgrund
mich aufs Sofa und nach einer halben Stunde kann ich an nichts anderes denken als an die nächste Dusche.«
»Vielleicht machst du mal deine Heizung aus«, erwidert Schaffartzik.
Im Training ist der Tonfall härter und konzentrierter. Auf der Rückfahrt aus Bamberg sieht die Mannschaft den Film Law Abiding Citizen. Ein Familienvater aus Philadelphia rächt sich an dem Mörder seiner Frau und Tochter, bringt dann die Strafverteidiger des Mörders um und nimmt schließlich Rache an der Justiz Pennsylvanias, blutig und spektakulär. Um den Bus herum tobt passenderweise ein Sommergewitter, die Blitze scheinen aus dem Film selbst zu stammen. Alle sehen zu, Spieler, Trainer und sogar Coach Katzurin. Unten im Bus philosophiert Bobby über Rachekonzepte. Oben im Bus werden Vorsätze gefasst. Im ersten Spiel haben die Bamberger getrashtalkt und gefloppt, sie haben sich in den Köpfen der Berliner eingenistet, Stück für Stück haben sie uns die Konzentration geraubt. Jetzt finden Femerling und Schultze klare Worte. »No shake-hands«, sagt Femerling. »Wenn sie wieder anfangen, zu quatschen«, sagt Schultze und donnert seine Faust an die Rückenlehne vor ihm, »dann boom!«
Coach Katzurin wird die Taktik ändern. Auf den kleinen Positionen will er anders rotieren, er ordnet eine Mann-gegen-Mann-Presse über das ganze Spielfeld an. Miro Raduljica sollte eigentlich beweglicher als Tibor Pleiß sein, schwerer ist er sowieso. Tadija hat gegen Šuput gut funktioniert. Er hat sich seit dem letzten Spiel der Frankfurt-Serie beruhigt, der Coach hat ihm immer weiter gut zugeredet und bei einer Auswechslung seine Wange getätschelt. Das erste Finalspiel hat Tadijas Ego gekühlt, für eine Weile versteht auch er wieder seine Rolle im Team. Bei McElroy geht es eigentlich nur darum, ob er diesmal genug Schlaf bekommen hat. Das Team versteht jetzt, dass ein Meistertitel für die turbulente Saison entschädigen würde. Die Mannschaft weiß, dass jeder Einzelne von der Meisterschaft profitieren würde. Es würde ein Monatsgehalt Prämie geben, für manche sogar mehr. Die Meisterschaft wird von einer abstrakten Idee zu einem konkreten Vorhaben. Die Mannschaft ist im Finale angekommen.
In den letzten Tagen war es schwül in Berlin, und Bobby stand trotz der Hitze jeden Tag in seiner Regenjacke auf dem Laufband. Dann gingen die Gewitter nieder, vor dem Fenster steht heute eine solide Wasserwand. Bobby legt dem Coach seine taktischen Änderungsvorschläge schriftlich vor, ein Stapel nervöser Skizzen, Tabellen und Diagramme. Auf der Plexiglaswand hinter Katzurin sind sämtliche Taktikideen und -änderungen visualisiert.
»Staiger is ready to play«, sagt Bobby. Coach Katzurin überfliegt die Papiere, Bobby schultert seine Taschen und Täschchen. »Es sei denn, er isst vor dem Spiel wieder Sushi oder so was.« Coach Katzurin schmunzelt. »Aber sag ihm das nicht, sonst kommt er mir völlig unterzuckert zum Spiel.«
Nachdem Bobby im Regen verschwunden ist, legt der Coach die Unterlagen zur Seite und steht auf. Er starrt auf die Plexiglaswand. Normalerweise ist er immer der Erste, der geht. Aber heute gewittert es, heute müssen wir ausharren und formulieren und beschwören. Mir fällt auf, dass die Schnapsflasche mit dem gläsernen Basketballer seit letztem Sommer unberührt auf dem Schreibtisch steht, ein gläsernes Geschenkdenkmal für Luka Pavi ć evi ć .
»Wir brauchen diesen Sieg«, sagt der Coach mehr zu sich selbst als zu uns. »Unbedingt. Wir brauchen diesen Sieg. Dann haben wir eine Best-of-Three-Serie. Und das ist dann eine ganz andere Geschichte. Ganz einfach. Wir brauchen diesen Sieg. «
Kurz vor Spielbeginn ist Zeit für Voraussagen. Außer Bobby haben sich während der Saison die meisten mit Prognosen und Tipps zurückgehalten. Heute allerdings ist die Ungewissheit so groß, die Offenheit des Ergebnisses so verunsichernd, dass fast alle über die Zukunft sprechen wollen. Oder was sie dafür halten. Die Spieler. Die Geschäftsstelle. Max Drübeck an der Tür. Die meisten tun es hinter vorgehaltener Hand und mit dem Nebensatz, dass sie eigentlich niemals Spielergebnisse tippen würden. Nur heute. Ausnahmsweise. Alle wissen, dass es fast unmöglich wird, die Meisterschaft zu gewinnen, wenn man heute verliert. Alle wollen einen Sieg herbeiprognostizieren. Mit einem 2:0-Rückstand nach Bamberg zu fahren, wäre der sichere Sweep.
Vor dem Spiel ist Zeit für Rituale. Während die Mannschaft im Hotel ausruht, schwimme ich 45
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