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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Sahnesoße, Fisch, Reis, Salat und Obst. In Samara ebenfalls, in Oldenburg und Bonn, in Sevilla und in Bamberg. Es gibt immer eine örtliche Spezialität: In Caserta gibt es faustgroßen Mozzarella, in Samara sauer eingelegte Eier, in Bad Homburg Frankfurter Grüne Soße, in Bonn steht eine Schüssel Haribo am Ende des Buffets. Die Salzkartoffeln bleiben überall liegen, niemand will irgendwo Aubergine essen. Nach Siegen gibt es überall Rindfleisch und Pommes, bei Busreisen hält die Mannschaft auf dem Rückweg bei McDonald’s oder Burger King. Für die Amerikaner bestellt der Doc Tabasco und Ketchup. In Kranjska Gora lagen eingelegte Paprika auf dem Buffett und an besonderen Tagen gab es Ć evapči ć i, blecheweise standen Donauwellen in der Kuchentheke.
    Jeden Abend nahmen die Coaches an der Bar vor dem Speisesaal einen Pflaumenschnaps.
    Die vielen Trainingseinheiten kosteten Kraft. Die Spieler sprachen abends nur das Nötigste. Es schien dann nur noch darum zu gehen, die leeren Depots wieder aufzufüllen. Der junge Nachwuchsspieler Joey Ney, der schmal und schüchtern zwischen den Profis saß, leerte konzentriert und rhythmisch einen Teller voller Pasta und Fleisch nach dem anderen, er schien zu schlucken, ohne zu kauen. Als Ney einen randvollen Teller Quarkkrapfen mit Schinken-Sahne-Soße vor sich stellte, sah Femerling ihm erstaunt zu. »Sag mal, Joey«, fragte er, als der Junge den Teller geleert hatte, »war das gerade süß oder salzig?«
    »Keine Ahnung,« antwortete Ney, »ich hatte Hunger.«

    Vor fünfzehn Jahren waren wir Spieler in der Saisonvorbereitung noch durch den Hagener Mischwald gejagt worden, Runde um Runde auf dem Tartan des Ischelandstadions, Steigerungsläufe, Cooper-Test, die Stadiontreppen hoch und runter. Wir rannten um den Teich und hassten den Sommer (in meiner Erinnerung riecht Sommer nach Tartan, Schotter und Brackwasser).
    In Kranjska Gora blieb die Mannschaft in der Halle. Professor Mika verteilte nach dem Warm-up und Stretching seine Pulsuhren, die Spieler schnallten sich die Brustgurte um. Femerling seufzte, stand auf und ging an die Grundlinie. »Tun wir also, was getan werden muss.«
    Professor Mika hob seine Brille vom Boden auf und erklärte mir den Trainingsplan. »Wir trainieren die Physis mit basketballtypischen Bewegungsabläufen«, übersetzte Dejan Mijatovi ć . »Let’s go«, rief Mika und klatschte in die Hände. Die Spieler begannen, zwischen Grundlinie und Freiwurflinie hin- und herzusprinten, in der Luft lag das Piepen der Pulsuhren, das Keuchen der Spieler, das Quietschen der Schuhe. Professor Mika trug Zahlen in seine Listen ein, Luka Pavi ć evi ć saß auf einem Klappstuhl und blätterte im Trainingsplan. »Kein Basketballer läuft zehn Kilometer am Stück durch den Wald«, antwortete Konsti auf meine Frage, was aus dem Waldlauf geworden sei. »Basketballer rennen selten weiter als 25 Meter geradeaus. Im Basketball tritt man an, pausiert kurz, sprintet wieder, es gibt häufige Richtungswechsel und Maximalbeschleunigung, man muss seine Bewegungen koordinieren. Also treiben die Spieler ihren Puls bis etwa 175 hoch, dann pausieren sie kurz, dann wieder 175. Das machst du eine halbe Stunde am Tag, dann bist du fit.«
    Jeder Tag war akribisch geplant und bis ins kleinste Detail strukturiert: morgens Athletik und Technik, danach Krafttraining. Dann Mittagessen, Mittagsschlaf, Kaffee. Abends Taktik und Spiel, Abendessen. Vor Trainingsbeginn erläuterte Pavi ć evi ć , was trainiert werden würde. Dann Huddle, dann Training. Und anschließend fasste Pavi ć evi ć noch einmal rhetorisch und pädagogisch durchdacht zusammen, was trainiert worden war.
    Jeden Abend drehten die slowenischen Kickboxer ihre Runden auf der löchrigen Aschenbahn hinter der Halle, wenn die Basketballer nachgetaner Arbeit zu Fuß zurück in ihr Hotel liefen. Jeden Abend kam Eye of the Tiger aus der Anlage eines hochgetunten und tiefgelegten VW Golfs, der mit geöffneten Türen auf dem Weg stand. Das Trainingslager funktionierte wie eine Autowerkstatt.
    Der Fahrzeugtyp, der Bauplan und der Rahmen standen fest. Dann wurden die Einzelteile bestellt und geliefert. Es wurde geschliffen, geschraubt und gesägt, es wurde optimiert. Coaches und Spieler arbeiteten an den Einzelheiten des Spiels: Körperhaltungen in Angriff und Verteidigung, Bewegungsabläufe im Eins-gegen-Null und Zwei-gegen-Null. Richtige Blocks. Pässe. Rebounds. Dribblings. Eins-gegen-Eins, Zwei-gegen-Zwei. Richtige

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