Gentlemen, wir leben am Abgrund
neuen Coach zu imponieren, aber er wählte seine Würfe schlecht aus und traf nur einen von acht Dreierversuchen. Immer wenn es knapp wurde, konnte der Scout eine gute Aktion für Satoranský in sein iPad tippen. Erst als das Wunderkind umknickte, kam Alba näher. Satoranský kam zurück, und Sevilla zog wieder davon.
Alba reihte Fehler an Fehler. Der Scout notierte. Femerling wurde Topscorer, Schaffartzik traf seinen ersten Dreier der Saison, das Spiel ging trotzdem verloren. 76:67.
Sevilla war nicht gut gewesen, Alba hatte einfach zu schlecht gespielt. »Das war fürchterlich dumm«, sagte der Scout. »Der Sieg lag rum, man hätte ihn nur aufheben müssen.« Das Zusammenspiel der Mannschaft funktionierte schlecht, dazu kamen 22 Ballverluste.
»Stupid. Stupid! « In der Kabine erhob Coach Katzurin zum ersten Mal seine Stimme. »Da war kein Wille. Kein Wille! Kein Gefühl für das Spiel! Wir fahren morgen direkt vom Flughafen in die Halle! Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben!« In der Pressekonferenz saß der Coach vor 150 leeren Kinosesseln und zwei Journalisten, er fasste sich kurz. »Stupid!«, sagte er.
Der Bus stand im kalten Flutlicht hinter der Halle, die Spieler kamen mit gesenkten Gesichtern aus dem Hinterausgang. Ich sprach mit den beiden einzigen Berliner Auswärtsfans, die sich auf die Reise nach Sevilla gemacht hatten. Roy Wenske war promovierter Philosoph, seit zwanzig Jahren Alba-Fan und arbeitete jetzt als Waffenhändler. Guido Wachsmuth war Mathematiker an der Uni von Delft. Die beiden begleiteten Alba jedes Jahr zu zwei, drei Auswärtsfahrten in Europa. Sie reisten an, bestiegen den höchsten Punkt der Stadt, verschafften sich einen Überblick, stiegen ab, sahen das Spiel und beendeten den Abend in einer Bierbar. Für die Freude. »Oder den Frust«, sagte Wenske. Wir redeten kurz, der eine oder andere Spieler blieb stehen und bedankte sich. Baldi rauchte eine Zigarette mit den beiden. Sie trugen Alba-Trikots unter ihren Winterjacken. Der Atem stand in Wolken um unsere Köpfe. Es wurde immer kälter.
Als Femerling und Price die Halle verließen, wurden sie von Spaniern umringt, die sie noch aus ihrer Zeit bei Sevilla kannten. Es gab respektvollen Smalltalk und Unterschriften. Hollis Price posierte vor dem Bus für Fotos, er lächelte sein höfliches Lächeln.
»Sag ihm, er soll einsteigen«, befahl Coach Katzurin, und der Busfahrer hupte. Es würde Hollis’ letztes Bild als Spieler von Alba Berlin sein. Wir fuhren schweigsam zurück ins Hotel, aßen in aller Stille, wir nickten einander zu und standen auf. Auf halbem Weg nach oben blieb der Aufzug stecken, fünf Spieler und ich, wir waren zu schwer. Wir warteten ein paar Minuten, wir wurden ungeduldig, dann ging es langsam und stockend wieder zurück ins Erdgeschoss.
»Der Alba-Aufzug«, sagte Femerling, »fährt nur nach unten.«
Am Flughafen von Sevilla saßen Schweigsamkeit und Nervosität zwischen uns am Gate und gähnten. Es war sieben Uhr morgens, ein perfekter Himmel, hinter dem Flugfeld ging die Sonne auf. Den Spielern graute vor der Rückreise, Berliner Frost und Berliner Straftraining. Konsti tippte irgendetwas in seinen Computer, er hatte den nächsten Gegner Telekom Baskets Bonn bereits gesichtet. Coach Katzurin saß abseits und allein. Er kannte diese Situation. Er hatte Straftraining anberaumt, also saß er allein.
»Sie sollen mich nicht mögen, sie sollen gewinnen«, würde er später sagen. Yassin las in der Süddeutschen , Marinovi ć hatte sich in einer Ecke zusammengerollt und schlief, Jenkins verbarg sich wieder einmal hinter seiner Musik. Wir tranken Automatenespresso und warteten. Vor den Panoramafenstern wurde die Maschine startbereit gemacht.
»Straftraining!«, Tommy schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Klamotten fürs Straftraining.«
»Dann müssen wir eben welche besorgen«, sagte Konsti. Seit der neue Coach da war, fühlte der Assistent sich für den reibungslosen Ablauf verantwortlich.
»Geht nicht«, Tommy war besorgt um seine Lagerbestände. »Dann ist mein Lager leer.«
»Immer dieses Geht-nicht! Wenn wir vor Jahrtausenden Stein und Holz aneinander gerieben hätten und dann ›Geht-nicht!‹ gerufen hätten, würden wir in Höhlen leben. Wir würden jetzt nicht hier sitzen.«
»Ich würde ganz gerne nicht hier sitzen.«
Das Spiel in Sevilla war das vorletzte Spiel von Hollis Price. In Trier spielte er 25 Minuten, gegen Sevilla nur noch 4:25. Dann würde er in einem
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