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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Zeitungsinterview für weniger Training plädieren. Bei seinem letzten Spiel gegen Bonn würde er noch zwei Punkte erzielen, dann würde er das Team verlassen. Hollis war wieder fit, aber Katzurin hatte sich längst entschlossen, ohne ihn weiterzumachen. Der Coach wollte ändern, was er ändern konnte, und die Spielmacherposition hatte er als ersten Schwachpunkt identifiziert. Das Profileben schien aus unbeendeten Geschichten zu bestehen.
    Keiner von uns ahnte, dass es noch weiter nach unten gehen würde. Die Mannschaft würde weiter verlieren. Gegen den alten Rivalen Bonn, den man zu Saisonbeginn noch mit zwanzig Punkten geschlagen hatte, würden wir die schlechteste erste Halbzeit der Saison spielen. Die fast ausverkaufte O2 World würde fassungslos starren, als das Team mit 10:30 hinten lag.
    Der Dreivierteljournalist, ein schlechter Schreiber in zu kurzen Hosen, würde vor der Pressekonferenz sein eigenes Niveau überlaut unterbieten. »War das eine Holocaust-Performance?« Ein Kollege würde anstandshalber lachen, die anderen würden so tun, als hätten sie nichts gehört. »Muss Katzurin an die Klagemauer?«
    Der Coach würde sagen, dass er noch nie eine Mannschaft mit derartig wenig Selbstachtung gesehen habe.
    »Scheiße kann man nicht polieren«, sagte Konsti.
    »Alba im Sturzflug« und »Ständige Verhöhnung« würden die Zeitungen schreiben und das Spiel eine »Demütigung« nennen. Sie hatten recht.
    Katzurin wurde gefragt, ob er immer noch zufrieden mit seinem Kader sei. »Ich bin ein Kämpfer. Ich habe bis zu diesem Tag hart gearbeitet, und ab heute werden wir noch härter arbeiten«, antwortete der Coach. Erste Gerüchte von Auflösungserscheinungen innerhalb der Mannschaft, von Grüppchenbildung und Egoismen machten die Runde. Und Tommy Thorwarth, der als Spieler immer alles gegeben hatte, stand am nächsten Morgen immer noch halb fluchend, halb resigniert in der Trainingshalle. »Wenn sie schon nicht einfach Basketball spielen wollen«, sagte er, »dann doch bitte wenigstens für ihr Geld. Wenigstens für Geld!«
    Tatsächlich kamen Marco Baldi und Mithat Demirel am Morgen nach dem Spiel ins Trainingszentrum und redeten dem Team eindringlich ins Gewissen. Sie zogen Konsequenzen und teilten den Spielern mit, dass ein Teil des Februargehalts eingefroren würde. Zum ersten Mal, seit Coach Katzurin im Amt war, durfte ich nicht mit in die Kabine. Ich saß in der leeren Halle und wartete. Die Spieler kamen mit Beschwerdegesichtern aus der Kabine und redeten wild durcheinander. Eine wütende Hektik lag in der Halle. Die Manager verschwanden direkt nach der Besprechung.
    Die Spieler gaben ihnen in der Sache zwar recht: Man durfte so nicht verlieren. Aber die Sperrung hatte keine juristische Grundlage, sie warAusdruck des wachsenden Drucks und der Machtlosigkeit gegen die Niederlagen. Gegen die Art und Weise, wie verloren wurde. Die Niederlage gehört zum Sport. Das wussten Baldi und Demirel. Aber für Alba war die Niederlagenserie ein eklatanter Verstoß gegen die Clubregeln und Teamgesetze. Die Qualität der Unterlegenheit – die »Demütigung« – verstieß gegen das Selbstverständnis des Clubs und lief der kämpferischen Natur von Baldi und Demirel zuwider. Wer gegen Spielregeln verstößt, wird im Sport bestraft. Die Manager waren derart entsetzt vom Auftreten der Mannschaft, dass sie konkrete Maßnahmen ergreifen mussten. Motivationsreden, Ehransprachen und Druck hatten nicht geholfen. »Wer Fragen hat«, sagte Baldi, »der kommt zu mir.« Es habe wie eine Drohung geklungen, sagten die Spieler.
    Eine Woche später reiste die Mannschaft nach Quakenbrück. Pokalspiel: Weiterkommen oder Ausscheiden. Quakenbrück war die längste Auswärtsfahrt der Liga, tief im Nordwesten Deutschlands. In Quakenbrück wohnten die Artland Dragons (Artland ist kein Teppichhändler oder Künstlerbedarf, wie ich immer gedacht hatte).
    Unten im Bus wurde fieberhaft gearbeitet. Die Manager telefonierten der Presseabteilung die Erklärung zu Hollis’ Abschied durch. Eine Minute später riefen die Journalisten an und stellten ihre Fragen. Zwischen den Telefonaten arbeiteten die Manager an der Verpflichtung eines neuen Point Guards.
    Die Spieler saßen oben im Bus und diskutierten, Hollis’ Platz war leer. Das Spiel ging knapp verloren, 84:80, und auch der Pokalwettbewerb war für Alba beendet. Nach dem Spiel saß die Mannschaft in der Kabine und hörte dem weit entfernten Jubel aus der Halle zu. »Wir können so nicht

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