Gentlemen, wir leben am Abgrund
Geschichte für möglich. Merkwürdige, denkwürdige Dinge müssen tatsächlich erst passieren, damit wir sie glauben können.
Er ist jemand, der an Wiederholungen glaubt. Er will das System perfektionieren. Das hat große Stärken, weil eine solche Arbeitsweise eine hohe Stabilität bringt. Die Frage ist dann:
Wie reagiert man auf Unvorhergesehenes? Luka hat auch Stärken, wenn er gezwungen wird, sein System zu verlassen. Wenn er wirklich improvisieren muss, bei Verletzungen oder bei Krankheiten. Ganz unabhängig vom Gegner. Ich glaube, dass er Improvisation durchaus beherrscht. Wir haben oft darüber gesprochen.
Gab es denn Diskussionen in den letzten Wochen? Oder habt ihr Entscheidungen getroffen, die nicht mehr seine Entscheidungen waren? Ich denke an die Verpflichtung von Heiko (Schaffartzik).
Nein, das haben wir nicht. Ich würde niemals einen Spieler verpflichten, den der Cheftrainer nicht will. Niemals. Alle Spielerverpflichtungen werden bei uns intensiv diskutiert. Und zwar von allen, die bei uns im sportlichen Bereich mitsprechen – Manager, Trainer und Co-Trainer. Luka wollte auf jeden Fall noch einen Point Guard, und Heiko war unser gemeinsamer Wunschkandidat vor der Saison. Und als Hollis verletzt war und diese Konstellation nicht richtig funktionierte, haben wir uns gefragt: Gibt es noch Alternativen, was ist auf dem Markt? Vielleicht sieht Luka es heute ein Stück weit tatsächlich so, dass Heiko nicht seine Verpflichtung war. Aber am Ende war es unsere Verpflichtung, bei der er kein Veto eingelegt hat – was er durchaus kann und soll. Es sprach tatsächlich rein gar nichts dagegen. Vor der Saison wollte er ihn unbedingt haben. Aber gut. Am Ende gelten immer die eigenen Überzeugungen. Seine und meine. Und das ist dann wiederum auch für mich eine Gratwanderung: Inwiefern greife ich ein? Wie harsch und hartnäckig fordere ich Dinge ein, ohne ihn zu bevormunden. Er soll ja nichts tun, was fernab seiner Überzeugung ist. Wenn man in einer Führungsverantwortung Dinge tun muss, an die man nicht glaubt, geht das in aller Regel nicht gut.
Geht es einem nahe, wenn man die gefürchteten Worte ausspricht:
Wir müssen reden, wir haben uns entschieden?
Das geht einem sehr nah. Extrem nah. Das ist ja fast ein eheähnliches Verhältnis. Man geht ja mit einer festen Überzeugung in eine solche Beziehung. Man muss sich nicht ständig umarmen, aber man kämpft zusammen. Das ist eine tiefe Beziehung, die absolut persönlich ist. Aber auf der anderen Seite haben wir eine Aufgabe. Wir tun, was das Beste für den Club ist. Und manchmal kommt es dadurch zu einer Doppelbödigkeit. Aber es gibt etwas, das ich noch nie gemacht habe und auch niemals machen will: dass man die Alternative schon vorbereitet hat und erst dann erfährt es derjenige, um den es geht. Also, meinAnspruch war definitiv, dass Luka von mir und nicht von irgendwelchen Spechten im Umfeld erfährt, wo wir stehen. Das kann man unter Altertümlichkeit und völlig falschem Harmoniebedürfnis abhaken. Zwanzig Jahre in diesem Business haben schon andere versaut. Aber für mich ist das sehr wichtig. Für mich persönlich ist es wichtig, dass der Mensch, den man schätzt und mit dem man intensiv zusammenarbeitet, auch direkt von einem erfährt, was Sache ist. Nicht hintenrum, nicht mit Drohung: wenn er das nächste Spiel nicht gewinnt und so weiter und so fort. Das mag ich nicht.
Die Entscheidung ist ganz unabhängig von einem bestimmten Spiel gefallen?
Wir waren schon lange unter Druck. Der Verein und vor allem ich standen ja schon im Ruf, noch dickköpfiger zu sein als Luka selbst. Meine Aufgabe ist es, meiner Überzeugung zu folgen. So definiere ich meinen Job. Nach verlorenen Spielen gibt es immer Fragen und Reflektionen. 100-prozentige Überzeugung ist äußerst selten. Es geht um die Überzeugung, dass man sich präsentieren kann, wie man sich selbst sieht. Nicht um Meister oder Nicht-Meister. Ich möchte nicht behaupten, dass äußere Einflüsse an Entscheidungen gar keinen Anteil haben. Aber sie sind kein Kriterium, ob man so eine harte geschäftliche und persönliche Entscheidung trifft oder nicht.
Was spielt bei so einer Entscheidung die größte Rolle?
Es geht um unseren Glauben. Seinen und meinen. Vor dem Weißenfels-Spiel haben wir uns lang unterhalten. Ich wollte verstehen, woran genau er glaubt. Wenn ihm der Glaube fehlt, dann hat das alles keinen Sinn. Aber ich hatte bei unserem Gespräch einen ganz anderen Eindruck. Ich
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