Geographie der Lust
sich irgendwo ein ehemaliger Diktator mit seinem Stab von Offizieren und sang mit, den Blick immer starr auf Lauras tätowierte Welt gerichtet.
Als die Scheinwerfer erloschen, drückten sich die abgehalfterten Potentaten gegenseitig die Hände, salutierten, während sich ihre Assistenten, pures Gold und Diamanten in den Fäusten, zu Dutzenden und dennoch diskret, zur Garderobe der Göttlichen zu drängen versuchten.
Es kam auch zu Duellen, die, wie immer unter Generälen und Diktatoren, blutlos und in Blechgebrüll endeten.
NEUN
New Orleans… Memphis… St. Louis…
Lucia führte ein Tagebuch. Auf der linken Seite beschrieb sie ihre Eindrücke, und auf der rechten trug sie die Einnahmen ein, die Spesen, die Art der Honorierung und all das; fünfzigtausend Dollar war der Minimalansatz.
»New Orleans«, notierte sie, »Dermatologen-Kongreß der amerikanischen Ärztegesellschaft. Alle Anwesenden trugen die lindengrünen Mäntel und Operationsmasken. Man sah bloß die Augen. Einer nach dem andern betrachtete das Kunstwerk. Gänsemarsch. Mehrere versuchten das Gesicht L.s zu erspähen. Ich erinnerte sie an Hippokrates, und einer, gierige Augen, Erektion unter dem hellgrünen Ärztemantel, kam dem vertikalen Äquator so nahe, daß ich ihn mit einem Fußtritt abwehren mußte. Er versuchte mich zu schlagen, wurde jedoch zum Glück von seinen eigenen Kollegen davon abgehalten, ganz der Typ: Cazzo in culo non fa figli. Dann war wieder Ruhe. Etwa dreihundert Ärzte. Der vierundneunzigste – ich zählte jeden – holte ein Stethoskop hervor und wollte die rechte Hinterbacke abhören. Auch er wurde von Kollegen in Schach gehalten. Er protestierte natürlich, behauptete, man könne Musik aus der Haut vernehmen! Leider oder Gott sei Dank erntete er bloß Gelächter. Nach einer langen wissenschaftlichen Diskussion, von der ich kein Wort verstand, verzogen sich die Ärzte. Draußen warteten Dutzende von Callgirls. Sie sorgten für hohe Spesen, nehme ich an.«
Und weiter: »Wundervoller Abend in St. Louis. Der Amateurverband amerikanischer Rosenzüchter hatte den ganzen Saal mit Rosen geschmückt. Rosengirlanden hingen von der Decke herunter (weiße Rosen); die Wände waren allesamt von Tausenden, ja Abertausenden von rosaroten Rosen bedeckt, und die Bühne mit dem Kunstwerk war wie ein Teppich, lückenlos, Rose dicht neben Rose (dunkelrot).
Lauter stille, liebe Menschen, auch Frauen, die sanften Beifall klatschten, als das Licht auf den Halbkugeln aufleuchtete. Eine Pracht wie nie zuvor. Sah viele Tränen auf den Gesichtern: Freudentränen!
Aus einem Lautsprecher klang die Stimme der schwarzen Sängerin Grace Dubois, die sonst in Wien engagiert ist; sie sang: ›Dunkelrote Rosen schenk' ich schönen Frau'n…‹ oder ähnlich, vom Komponisten Frank Lehar, ein Südtiroler, nehme ich an.«
»War das nicht schön, war das nicht wunderbar?« fragte Lucia nach dieser Vorstellung in St. Louis.
Laura weinte.
»Ich möchte nach New York zurück«, sagte sie.
»Aber wir gehen ja nach New York zurück. Die Reise in den Südstaaten ist zu Ende, obschon wir noch Dutzende von Angeboten haben –«
»Basta!« schrie Laura. »Basta!«
»Wenn wir noch in Kansas City auftreten –«
»Basta!«
»Haben wir eine Viertelmillion beisammen.« »Basta!«
»O. k.«, antwortete Lucia, »o. k.«
ZEHN
Sie kamen um neun Uhr morgens in New York an. Es regnete. Die Wolken am Himmel platzten wie mit Wasser gefüllte und mit Messern angestochene Plastikbeutel. Die Taxis spülten sich gegenseitig weg bei jedem Überholversuch; schließlich warfen sich die Fahrer Rettungsringe zu.
Als Lauras Taxi endlich vor dem Portal des Hotels anhielt, regnete es immer noch so erbärmlich, daß die doormen, ihrer fünf, jeder einen Schirm über den vor ihm stehenden Kollegen hielten. Es gibt im Falle einer Katastrophe keine hilfreichere Stadt als New York. Man liebt sich während Katastrophen.
Und so wurde Laura, von fünf Schirmen beschützt, in die Hotel-Lobby begleitet.
Regenschnüre, der Asphalt dampfte.
Laura saß am Fenster, lauernd wie eine Katze. Sie sah keine Taxis, keine Fontänen. Sie wartete auf ihre Maus.
Regenstiefel, Regenmantel, Regenschirm – alles lag in militärischer Ordnung vor ihr auf dem Fußboden und wartete auf den Marschbefehl.
Nach einer Stunde bemerkte sie, wie Leute auf der Straße ihre Gangrichtung änderten; sie wollten und mußten jemandem ausweichen.
Ein Blinder?
Eine Minute später schlug Laura die
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