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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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Peters -Gesellschaft, ein junger Mann natürlich, lachte ihn aus, brüllte: »Sie haben Afrika doch nie gesehen, nie! Höchstens den Arsch einer Negerin, was?«
    Das war kein glänzendes Argument. Die Erwähnung eines schwarzhäutigen weiblichen Hinterns zur Beweisführung war Verrat an der eurozentrischen Version, und der irregeleitete Repräsentant schlug, niedergeschrien von den eigenen Kollegen, ausgelacht von den Vertretern der Mercator- Theorie, verzweifelt seine Hand gegen die Stirn.
    Lucia steckte der gelangweilten Laura ein Blättchen Kaugummi zwischen die Zähne.
     
    Da in der nachfolgenden halben Stunde kein Wort mehr über Laura verloren wurde, zauberte der Manager der Veranstaltung die junge Frau von der bühnenähnlichen Erhöhung und geleitete sie zur Garderobe.
    »Haben die beiden Damen vielleicht etwas dazugelernt an diesem Abend?« erkundigte sich der Manager, wobei sein Mundgeruch Lauras Halbkugeln vergessen ließ und an die wahre Welt erinnerte.
    »Wann haben Sie Ihre Frau zum letzten Mal angehaucht?« konterte Laura.
    Lucia setzte die Brille auf und kontrollierte den Scheck. »Wenn er nicht echt ist«, sagte sie, »werden alle Peters und Mercatoren erfahren, wie die Welt wirklich aussieht.«

ACHT
    Die große Flugreise in den Süden begann am nächsten Morgen.
    Laura las in einem Handbuch davon, wie eine gelangweilte Touristin sich mühte, ihr Interesse wachzuhalten, damit sie später erzählen kann, was sie gesehen hat. 1847 schrieb der Amerikareisende Sir Francis Head: »Die Horizonte Amerikas sind unendlich weiter… die Himmel blauer… die Wolken weißer… die Luft bissiger… die Kälte kälter… der Mond scheint größer zu sein… die Sterne leuchtender… der Donner mächtiger… die Blitze zucken greller… die Winde sind ungestümer… der Regen fällt schwerer… die Flüsse sind unendlich größer… die Wälder mächtiger… die Ebenen unabsehbarer…«
    Sie schloß das Buch und dachte an den blinden, schönen jungen Mann.
    Um zwei Uhr nachmittags landete die Maschine in Houston, Texas; die vielen Reporter am Flughafenausgang hatten es leicht, Laura zu erkennen: das Bild der gerahmten Lady aus Mailand war seit Tagen durch die Presse gegeistert.
    Interviews lehnte Lucia gestikulierend und mit mächtigen italienischen Wortfetzen ab. »Basta! Basta! Basta!« schrie sie nach jedem Satz, und dies stand denn auch anderntags in den Schlagzeilen der Boulevardpresse: »Basta! Basta!«
     
    Der Saal war mehr als eine Stunde zuvor abgeriegelt worden und wurde bewacht. Es war eine Versammlung abgesetzter oder verjagter Diktatoren aus Süd- und Mittelamerika, Afrika und aus asiatischen Inselgruppen, die in ihren Uniformen, Relikten vergangenen Prunks und verspielter Pracht, Champagnerpfropfen knallen ließen.
    Die Herren trugen goldene Sterne auf den Generalsmützen; silberne Schnüre schmückten ihre Brust, die schmächtiger war als die Bäuche mit dem gärenden Lachs, Kaviar, Filet Bourguignon, Salaten und Nußeis. Die Herren waren von Unterherren umgeben, die ihnen mit Damasttüchern zuweilen den ananasgelben Schaum aus den Mundwinkeln tupften. Das Sprachgewirr gemahnte ans einstige Babylon; lediglich unverhohlene Rülpser verkündeten unverwechselbar Übereinstimmung in politischen Belangen. Einzelne hatten ihre Faust um einen Säbelgriff geklammert, schluckten Alka Seltzer, stöhnten und brüllten Todesurteile in den Saal. Andere hatten den Säbel bereits aus der Klinge gezogen, bereit, für das Vaterland, das nichts mehr von ihnen wissen wollte, zu sterben. Drei Ärzte, denen es, aus welchen Gründen auch immer, verboten war zu praktizieren, verteilten starke Beruhigungstabletten und stießen da und dort eine Injektionsnadel mit Morphium in fettes Fleisch.
    Endlich wurden von Heinzelmännchen die Kerzenlichter ausgeblasen. Ruhe herrschte im Saal, wenn man von Hustenanfällen, lautem Gähnen und dem Ablassen von beunruhigenden Winden absah.
    Dann fiel das Licht zweier Scheinwerfer auf Omai O'Haras Kunstwerk.
    Einige der ehemaligen Potentaten ließen sich von ihren Assistenten Ferngläser reichen, erhoben sich schwerfällig und gaben sich, vor Wollust stöhnend, der Darbietung hin.
    Der gewaltige Beifall sollte vermutlich besagen, daß die Welt endlich dort zu erblicken war, wo sie hingehörte, beherrschbar, besitzbar!
    Mehrere hielten die stramme Hand an die Generalsmütze, Tränen in den Augen.
    Durch Lautsprecher dröhnten in rascher Folge siebzehn obskure Nationalhymnen, dauernd erhob

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