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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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»Wer soll da bloß kommen? Botaniker aus Yokohama?«
    Die zwei Japaner antworteten nicht, lächelten und verbeugten sich feierlich.
    »You have nice day!« sagte einer und verbeugte sich gleich vor den eigenen Worten.
    »Sicher«, antwortete George und fügte hinzu: »Kamikaze! Kamikaze!« Er stammte aus Brooklyn.
    George wurde zwei Stunden später von einem kubanischen Studenten abgelöst.
    »Was ist los heute abend?« fragte er.
    »Dreihundert Japsen kommen zwölf Blumentöpfe anschauen«, gab George zur Antwort. »Achthundert geteilt durch zwölf. Bis jeder Tropf einen Topf betrachtet hat, wird es drei Uhr morgens. Dann werden sie Pearl Harbor bombardieren.«
    »Warum?« fragte der kubanische Student.
    »Das tun sie immer. Nie gehört?«
    »Ich bin Kubaner, wenn ich bitten darf.«
    »Vor dem Gesetz der Dummheit sind wir alle gleich«, sagte George. »Noch nie von Gleichberechtigung gehört?« Er zog den Mantel über und ging hinaus.
    Der kleine Park duftete nach Sommeranfang.
    Punkt acht Uhr abends hielt eine Limousine vor dem blauen Baldachin des National Arts Club. Sechs japanische Herren stiegen aus. Alle steckten in tadellosen Maßanzügen; zwei der Herren, wesentlich älter als ihre Begleiter, trugen Zylinder wie ihr Kaiser Hirohito, die vier jüngeren hingegen trugen die nicht weniger traditionellen Gangsteranzüge der Hollywoodfilme aus den dreißiger Jahren, in die Taille geschnittene Zweireiher mit Nadelstreifen, schwarze Hemden mit weißen Krawatten.
    Eines war den vier Männern gemeinsam: eine gewisse Steifheit in der Rückengegend. Dies war weniger auf Tradition zurückzuführen, eher auf die Tatsache, daß alle kugelsichere Westen trugen.
    Sie betraten im Gänsemarsch den Vorraum. Der älteste von ihnen verbeugte sich vor dem doorman, sagte: »Bonsai.« Er sagte es natürlich fragend, doch der kubanische Student hielt es für ein Begrüßungswort und antwortete lauthals: »Bonsai! Bonsai!«
    Die Herren setzten ihren Gänsemarsch fort, vierschrötig, gewalttätig und würdevoll.

ACHTZEHN
    Wenige Minuten später hielt ein gelbes Taxi vor dem erwähnten Eingang: die gerahmte, geheimnisvolle Dame, schön, obschon das Gesicht Schönheit nur erahnen ließ. Gerade deshalb. Wenn ein New Yorker Chauffeur sich von seinem Sitz am Steuerrad erhebt, so muß es sich um eine außerordentliche Persönlichkeit handeln, zumindest um eine Zeitungspersönlichkeit.
    Auch der kubanische Student am Portal erhob sich respektvoll.
    »Bonsai?« fragte sie.
    »Würden Sie bitte Ihre Sonnengläser für einen Moment abnehmen«, bat der kubanische Student. »Es handelt sich nämlich um eine japanische Ausstellung für Japaner.«
    Laura ignorierte ihn und schritt auf die mit weinrotem Teppich belegte Treppe zu. Mit einem Fächer aus Pfauenfedern fächelte sie sich Luft zu, blieb stehen, betrachtete neugierig die mit dunkel glänzendem Eichenholz verzierte Bar, ging einige Schritte weiter und sah zur Kuppel empor, die, ganz aus Tiffanyglas gestaltet, wie fast alles, was vor mehr als hundert Jahren in New York entstanden war, etwas Märchenartiges hatte.
    Drei Gentlemen saßen an der Bar, nippten Martinis und standen sofort stramm, als sie Laura erblickten. Sie flüsterten. Laura schritt weiter, dem Ausstellungsraum zu. Die Tür war geschlossen; Laura klopfte so schwach mit dem Zeigefingerknöchel an, daß selbst eine Maus nicht von ihrem Käsestückchen abgelassen hätte.
    Dennoch schien man sie gehört zu haben, denn die Tür wurde sofort geöffnet.
     
    Der Anblick hätte sie wohl einschüchtern müssen, aber die stolze Italienerin blieb ungerührt stehen.
    Die zwei älteren Japaner standen nackt auf einem der von Stoffen bedeckten Tische. Es herrschte Halbdunkel, aber es war unschwer zu erkennen, daß sie von der Ferse bis zum Schlüsselbein tätowiert waren: ein Pandämonium flammender Farben, Zotiges und Zügelloses, Grelles und Geiles, Geisterndes und Glimmerndes.
    Die vier jüngeren Männer standen starr, die Hände in die Hüften gestemmt: selbst Madame Tussaud hätte auf den ersten Blick geglaubt, es seien Wachsfiguren. Um ihre Furchtlosigkeit unter Beweis zu stellen, näherte sich Laura bis auf einen Meter, betrachtete zuerst den einen Mann auf dem Tisch, dann den andern und nickte zustimmend, nahm sogar die Sonnenbrille ab, setzte sie jedoch gleich wieder auf. Beide waren gleich tätowiert: Die Vorhaut ihres Gliedes war die grellrote Zunge einer Teufelsfratze; auf der Länge des Penis waren Fratze und Hals abgebildet,

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