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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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werden.«
    Laura stampfte mit ihren Stöckelschuhen auf den Steinboden, versteckte sich sogleich zwischen zwei Bänken. Mehrere Gläubige, Betende oder Vespernde, sahen sich entsetzt um, und Dösende erwachten aus ihrer Gläubigkeit für zwei Sekunden, welche die grauen Eichhörnchen Manhattans gewöhnlich benötigen, um zu kopulieren.
    »Schluß.« Laura erhob sich. »Jetzt heiraten wir. Ja?«
    »Ja.«
    »Gut. Also wiederhole meine Worte: Ich, David Dublin Delaware –«
    »Ich, David Dublin Delaware –«
    »Gelobe hiermit –«
    »Gelobe hiermit, Laura Bologna Granati treu zu sein bis ans Ende aller Tage.«
    Er wiederholte jedes Wort.
    »Amen«, zischte Laura, »und damit erkläre ich uns für Mann und Frau.«
    Sie umarmte ihn feurig, riß ihn auf die Bank nieder und versuchte seinen Reißverschluß zu öffnen.
    Es gab einen kleinen Skandal, im Flüsterton; da Laura lediglich italienische Wortkaskaden von sich gab, fand die Sache ein friedliches Ende.
     
    Draußen wollte ein feiner religiöser Herr David eine Münze in die Hand drücken. Laura schlug die Hand des Mannes in die Höhe, und die Münze flog in hohem Bogen mitten in den Straßenverkehr. Sie schrie auf italienisch zwölf fürchterliche Flüche und Beleidigungen und hielt abrupt inne.
    »Die Schlimmeren sind die, die einem Blinden immer über die Straße helfen wollen. Ob man will oder nicht«, sagte David.
    Der Mann, der eben einer christlichen Eingebung Folge zu leisten versucht hatte, stolperte vor Entsetzen in die Kathedrale zurück.
    »Später heiraten wir richtig«, sagte Laura. »Mit Papier und alldem. Nun muß ich mich verabschieden. Ich habe gestern eine Wohnung für uns gekauft. Wir brauchen Möbel.«
    Sie riß ihm den weißen Stock aus der Hand und winkte ein Taxi herbei, gab David den Stock zurück, stieg ein und ließ ihn stehen.
     
    Die Wohnung befand sich an der 33. Straße East und Lexington Avenue, im vierundzwanzigsten Stockwerk.
    »Man kann über den ganzen East River sehen«, sagte Laura stolz, als sie später mit David auf dem Balkon stand und all die Häuserschluchten, Brücken und Lichter betrachtete. Sie entschuldigte sich sogleich: »Verzeih!«
    »Ich vermag es trotzdem zu sehen. Wozu sonst hab' ich deine Augen?«

SECHZEHN
    Laura hatte in Mailand wohl Möbel in vornehmen Häusern gesehen, aber nie selber gekauft, und jetzt, da sie eine Sieben-Zimmer-Wohnung besaß, die sie, wenn es regnete, an Rollschuhgruppen hätte vermieten können, übermannte sie die Kauflust.
    Tische, die ihr gefielen, kaufte sie neunmal; unzählige Betten, Wasserbetten, ovale Betten, runde Betten, Viererbetten, Sechserbetten, Kinderbetten; Schränke, Konsolen, Büchergestelle (sie besaß kein einziges Buch), Garderoben, Lederfauteuils, Kanapees, elf Spiegel in verschiedenen Größen und mit Rahmen aus Gold, Silber –
    Ach ja, Silber, Silbergabeln, Silbermesser, Silberlöffel, Geschirr aller Stilarten von Wedgewood bis Rosenthal und Limoges. Bei Bloomingdale's liefen die Abteilungsleiter zusammen, berieten, wagten am Ende doch nicht nach einem Ausweis zu fragen, bestaunten ihr gerahmtes Gesicht, von Geheimnis umwoben, die Stimme mit fremdem Akzent, ein herbeigeholter Junior Executive sprach sie in der Stoffabteilung aus Verlegenheit mit »Contessa« an, als sie – in Gedanken versunken – die Anzahl der Fenster all ihrer Zimmer zählte, und bat sie um die genauen Maße der Vorhänge. Laura setzte sich erschöpft. Man rannte nach allen Seiten, um ein Glas Wasser zu besorgen, und schließlich stand jedermann mit einem Glas Wasser vor und hinter ihr. Im Wayawanda-Hotel warf sie sich aufs Bett, streckte alle viere aus und schrie nach Lucia. Dann ein zweites und drittes Mal, heller und greller.
    Lucia, die unter der Tür des anliegenden Zimmers erschien, verschwitzt wie ein Möbelpacker, die Schminke verschmiert, das Haar feucht und verklebt, trug einen Joggeranzug und Turnschuhe; ihre Augen glänzten vor Lebenslust.
    »Was ist los?«
    »Wir haben kein Geld mehr. Alles weg! Alles! Ich hab' sozusagen geheiratet –«
    »Den Blinden?«
    »Natürlich. Und ich hab' eine Wohnung gekauft, 24. Stockwerk, 33. Straße, und alles, was dazugehört. Ich erinnere mich sogar schwach an einen Rasenmäher.«
    »Vielleicht kannst du ihn in der Küche für den Schnittlauch brauchen.«
    »Sonst sagst du nichts?«
    »Zu einem Blinden und einem Rasenmäher fällt mir nichts ein.«
    »Ich hab' kein Geld mehr.«
    »Unsinn. Laß mich nachschauen. Zweihunderttausend hab' ich in

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