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Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Titel: Geopfert - [Gus Dury ; 1] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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letzte Mal. Speckschnitte ließ meinen Schreibtisch räumen, während ich noch in der Zelle saß. Ich hatte die Redaktion zum letzten Mal verlassen. Ich hatte nicht vor zurückzukehren.
    Ich drückte die Marlboro aus. Sie lag platt im Aschenbecher, einzelne Tabakfasern wie Insektenbeine darunter zerdrückt. Ich stand auf und durchstöberte das Zimmer. »Papier. Wo ist das verdammte Briefpapier?«, sagte ich laut.
    Ich zog mehrere Schubladen auf. Fauchte beim Anblick einer Gideon-Bibel, dann: »Bingo!«
    Nicht ganz das Dorchester im Briefkopf, aber, scheiß drauf, es musste genügen. Ich machte mich daran, einen Brief an Debs aufzusetzen. Falls sie vorhatte, mir noch mehr Post von ihrem Anwalt zu schicken, sollte sie ein paar Fakten haben.

I ch schreckte aus dem Schlaf, laute irische Flüche umgaben mich. Ich hörte einen dumpfen Schlag, dann noch einen. Einen Augenblick lang fühlte ich mich in meine Kindheit zurückversetzt, als mein Vater mit dem Streichriemen seines Rasiermessers hinter mir her war, dann machte sich wieder die Wirklichkeit breit.
    »Ist völlig am Arsch, wo ist der Verstand, den Gott dir gegeben hat?« Milo machte offensichtlich jemanden zur Schnecke. Ich griff nach meiner 501. Die Jeans fühlte sich weich an, glatt wie Samt nach tausend Behandlungen im Waschsalon. Ich stieg hastig ins erste Bein, blieb mit dem großen Zeh in einem Loch am Knie hängen und riss den Stoff bis halb nach unten auf. »Heiliger Strohsack!« Das hatte mir gerade noch gefehlt. Vor mir lag ein arbeitsreicher Tag.
    Als ich in den Flur hinaussah, blickte ich direkt in Milos kleine Welt. »Soll ich Ihnen einen Hammer bringen?«, fragte ich.
    »Ah, Mr. Dury der Unerschrockene.« Seine Miene hellte sich auf wie ein Lampion. »Und wie geht’s uns so an diesem herrlichen Morgen?«
    »Um die Wahrheit zu sagen, besser ginge ’s mir mit mehr Schlaf.«
    »Schlaf. Blödsinn! Ein junger Mann wie Sie sollte auf den Beinen sein und die Wunder dieses schönen Morgens genießen.«
    Ein weiterer dumpfer Schlag ertönte hinter ihm. Milo drehte sich um. »Drauf eindreschen wird’s auch nicht richten! Kannst du verdammt noch mal nicht auf mich hören?« Er schüttelte den Kopf, drehte sich um zu mir und sagte mit zum Himmel gehobenen Augen: »Vollidiot.«
    »Probleme?«
    »Die Glotze ist kaputt. Der Russki denkt, wie ein Irrer auf die Kiste einzudreschen wär’ die passende Antwort – ich sag dir, es ist genau wie damals in Stalingrad!«
    Ich lachte und nickte Milo verständnisvoll zu, dann drehte ich mich wieder zu meinem Zimmer um. Als ich die Tür schloss, hörte ich sein Jubeln. Ich bin sicher, Anne Robinson putzte gerade in einer Millisekunde einen Kandidaten von The Weakest Link herunter, bevor wieder auf den Fernseher eingedroschen wurde.
    Ich artikulierte lautlos »Irrenhaus« und drehte ebenfalls die Augen zum Himmel.
    Zog Schuhe und Klamotten an. Schnappte mir meine Jacke. Checkte die Tasche – ich hatte immer noch etwas Bares. Col hatte mich ausreichend versorgt, aber ich würde schon bald weitere Auslagen haben.
    Auf dem Weg hinaus brüllte Milo wie der berühmte Esel von Doran. Ich hörte ihn noch, als ich auf der Straße stand und meinen Kragen aufstellte. Es war so arschkalt, dass einem die Eier auf Rosinengröße schrumpelten. Scheiße, das ist Edinburgh, aber, wie Kelly Jones so schön sagt, es tut gut, draußen zu sein.
    Autos verstopften die Kreuzung am oberen Ende der Easter Road. Die Abgase all der Mütter in ihren unnötig fetten Kindertransportern raubten mir die Luft zum Atmen. Es war für mich einfach noch zu früh. Normalerweise verpasse ich dieses ganze Chaos. Die Zeiten, als ich um Punkt neun an einem Schreibtisch sitzen musste, waren lang vorbei.
    Ich beobachtete die nadelgestreiften Yuppies im Powerwalk zu ihren fünfzig Riesen pro Jahr, Alterszulage und Krankenversicherung inklusive – die müssten mir schon eine Kiste voll Prozac bieten, um mein Interesse zu wecken. Wuchtige Hemdkragen und Manschetten schienen bei den Anzugtypen der letzte Schrei zu sein. Echte Harry-Hill-Kluft. Die brachten mich zum Lachen, diese verfluchten Komiker.
    Hinter der Grasböschung an der London Road wischte eine Horde Suffnasen den Schaum von einigen Dosen Special Brew ab. The Flower of Scotland, unsere inoffizielle Nationalhymne, wurde zum ersten Mal an diesem Tag intoniert. Es verblüfft mich jedes Mal aufs neue, aber diese Typen finden immer einen Grund zum Feiern. Die Schreibtischhengste stahlen sich mit gesenktem Blick

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