Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
diesen Schlüssel. Geh’ in die Galerie des Numa. Zähle alle Fächer des Getäfels von der großen Figur bei der Türe an; sie stellt den Herkules, Sohn des Jupiters, einen meiner Vorfahren, vor. Im dreiundzwanzigsten Feld wirst du eine kleine im Rachen einer goldenen Natter versteckte Öffnung finden. Ludwig (der Maure) hat dieses Feld machen lassen. Stecke den Schlüssel in diese Öffnung. Das Feld wird sich, wie eine Türe, auf seinen Angeln bewegen. In dem verborgenen Schrank, den es versteckt, findest du auf einer Kristallplatte zwei Flaschen, eine von Gold und eine von Silber, mit zwei Bechern. In der silbernen Flasche ist reines Wasser. In der goldenen ist zubereiteter Wein. Du trägst die Platte, ohne etwas zu verrücken, in das anstoßende Zimmer, Rustighello, und wirst dich hüten, die goldene Flasche anzurühren, wenn du je die Leute mit Zähneklappern von dem Gifte der Borgia hast reden hören, einem Gifte, das als Pulver weiß und funkelnd ist, wie der Staub von cararischem Marmor und das, in den Wein gemengt, Romorantiner in Syrakusaner verwandelt.
Rustighello : Ist das Alles, mein Herr?
Alphons : Nein. Du nimmst deinen besten Degen und bleibst aufrecht in dem Cabinet hinter der Türe stehen, so daß du Alles, was hier vorgeht, hören und auf das erste Zeichen, das ich dir mit dieser silbernen Schelle gebe, hereintreten kannst. Wenn ich einfach: Rustighello! rufe, so kommst du mit der Platte herein. Wenn ich mit der Schelle klingle, so kommst du mit dem Degen.
Rustighello : Gut, mein Herr.
Alphons : Du hältst den bloßen Degen in der Hand, um dir die Mühe des Ziehens zu sparen.
Rustighello : Ja wohl.
Alphons : Rustighello, nimm zwei Degen, es könnte einer brechen. Fort!
Rustighello geht durch die kleine Türe ab.
Türsteher (tritt durch die Jure im Hintergrund ein): Unsere Donna, die Herzogin, wünscht den Herrn Herzog zu sprechen.
Alphons : Laßt unsre Dame herein.
Zweite Szene
Don Alphons, Donna Lucretia
Lucretia (tritt ungestüm herein): Herr! Herr! das ist unverschämt, das ist schmachvoll, das ist abscheulich! Einer aus Eurem Volke, wißt Ihr das, Don Alphons? Einer aus Eurem Volke hat den Namen Eures Weibes unter dem Wappen ihrer Familie auf der Fronte Eures Palastes verstümmelt. Es geschah am hellen Tage, öffentlich, durch wen? – ich weiß es nicht; aber es ist sehr schmählich und sehr frech. Man hat aus meinem Namen ein Aushängeschild für die Schande gemacht, und Euer Pöbel aus Ferrara, der niederträchtigste in ganz Italien, Herr, steht da und grinst vor meinem Wappen, wie vor einem Pranger. Bildet Ihr Euch etwa ein, Don Alphons, daß ich das so hinnehmen würde, und daß ich nicht lieber auf einmal durch einen Dolchstoß sterben möchte, als tausendmal durch den giftigen Biß des Spottes und des Pasquills? Bei Gott, Herr! man behandelt mich seltsam in Eurer Herrschaft Ferrara! Ich fange an, das müde zu werden; ich finde Euer Aussehen zu gefällig und ruhig, während man in den Rissen Eurer Stadt den Ruf Eures von Schande und Verleumdung mit den Zähnen zerrissenen Weibes herumzerrt. Ich muß dafür eine glänzende Genugtuung haben, Herr Herzog! Ich sage es Euch vorauf. Bereitet Euch, mir Rech zu verschaffen. Das ist ein ernsthaftes Ereignis, seht Ihr? Glaubt Ihr vielleicht, daß mir die Achtung eines Jeden unter der Sonne gleichgültig ist und daß mein Gemahl aufhören kann, mein Ritter zu sein? Nein, nein, mein Herr! wer sich vermählt, der schirmt, wer die Hand gibt, der gibt den Arm. Ich zähle darauf. Alle Tage neue Beleidigungen, und immer sehe ich Euch gefühllos dafür. Sprützt der Kot, womit man mich bewirft, nicht auch auf Euch, Don Alphons? Ha, bei meiner Seele, werdet doch ein wenig zornig, Herr, damit ich Euch doch einmal in meinem Leben im Zorn um mich sehe. Ihr liebt mich, wie Ihr manchmal sagt? So liebt doch meine Ehre! Ihr seid eifersüchtig? So seid es doch auf meinen Ruf! Wenn ich durch meine Mitgift Eure Erbgüter verdoppelt; wenn ich Euch zum Hochzeitgeschenk nicht nur die goldene Rose und den Segen des heiligen Vaters, sondern auch noch etwas mitgebracht habe, das mehr Platz einnimmt auf dieser Erde: Siena, Rimini, Cesena, Spoleto und Piombino und mehr Städte, als ihr Schlösser, und mehr Herzogtümer, als Ihr Baronien hattet; wenn ich Euch zum mächtigsten Edelmann Italiens gemacht habe, so ist das wohl ein Grund, Herr, mich dem Gespötte, dem Geschrei und den Beleidigungen Eures Pöbels Preis zu geben; ein Grund, Euer Ferrara vor ganz Europa
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