Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
mit den Fingern auf Euer verachtetes und unter der Magd Eurer Stallknechte stehendes Weib deuten zu lassen; so ist das wohl ein Grund, sage ich, daß Eure Untertanen mich nicht durch ihre Mitte können gehen sehen, ohne zu sagen: Ha, dies Weib!… Ich erkläre es Euch, Herr, das heutige Verbrechen muß untersucht und strenge bestraft werden, wenn ich nicht bei dem Pabst oder dem Valentinois, der zu Forli mit fünfzehntausend Kriegsleuten steht, Klage führen soll, und dann mögt Ihr zusehen, ob es wohl der Mühe wert ist, sich darum aus Eurem Sessel zu rütteln.
Alphons : Donna, ich bin von dem Verbrechen unterrichtet, worüber Ihr klagt.
Lucretia : Wie, Herr! Ihr wißt von dem Verbrechen, und der Verbrecher ist nicht entdeckt?
Alphons : Der Verbrecher ist entdeckt.
Lucretia : Bei Gott! wie kömmt es, daß er alsdann noch nicht verhaftet ist?
Alphons : Er ist verhaftet, Donna.
Lucretia : Bei meiner Seele! wie kommt es, daß er seine Strafe noch nicht erhalten hat?
Alphons : Er wird sie erhalten. Ich wollte erst Eure Meinung über die Strafe hören.
Lucretia : Ihr habt wohl daran getan, Herr! Wo ist er?
Alphons : Hier.
Lucretia : Ha, hier! Man muß ein Beispiel geben, hört Ihr, Herr? Das ist ein Majestätsverbrechen. Solche Verbrechen machen immer den Kopf fallen, welcher sie aussinnt, und die Hand, welche sie ausführt. – Ha, er ist hier! Ich will ihn sehen.
Alphons : Das ist leicht. Er ruft. Bautista!
Der Türsteher tritt ein.
Lucretia : Noch ein Wort, Herr, ehe der Verbrecher hereingeführt wird. Gebt mir Euer Wort als gekrönter Herzog, Don Alphons, daß er, wer er auch sei, aus Eurer Stadt oder Eurem Hause nicht lebend von hier weg soll.
Alphons : Ihr habt es. – Ich gebe es Euch, Donna, versteht Ihr wohl?
Lucretia : Gut. Ha, ich verstehe! Führt ihn her, damit ich ihn selbst vernehme. Mein Gott! was habe ich doch diesen Leuten zu Ferrara getan, daß sie mich so verfolgen?
Alphons (zum Türsteher): Führt den Gefangenen herein.
Die Türe im Hintergrund öffnet sich. Man sieht Gennaro entwaffnet zwischen zwei Hellebardieren hereintreten. In dem nämlichen Augenblick sieht man Rustighello die Treppe in dem kleinen Zimmer zur Linken hinter der verborgenen Türe herauf steigen. In der Hand hält er eine Platte, worauf eine goldene und eine silberne Flasche nebst zwei Bechern stehen. Er stellt die Platte auf den Fenstervorsprung, zieht seinen Degen und stellt sich hinter die Türe.
Dritte Szene
Die Nämlichen, Gennaro
Lucretia : Gennaro!
Alphons (nähert sich ihr. Leise und lächelnd): Kennt Ihr den Mann?
Lucretia : Es ist Gennaro. Welche Schickung, mein Gott!
Sie betrachtet ihn ängstlich, er wendet die Augen ab.
Gennaro : Herr Herzog, ich bin nichts, als ein Hauptmann und spreche zu Euch mit der Achtung, die Euch gebührt. Eure Hoheit hat mich heute Morgen in meinem Hause verhaften lassen; was will sie mit mir?
Alphons : Herr Hauptmann, ein Majestätsverbrechen wurde heute Morgen dem von Euch bewohnten Hause gegenüber verübt. Der Name unserer vielgeliebten Gattin und Base, Donna Lucretia Borgia, ist auf eine unverschämte Weise auf der Fronte unseres Palastes verstümmelt worden. Wir suchen den Schuldigen.
Lucretia : Er ist es nicht! Das ist eine Verwechslung, Don Alphons. Der junge Mann da ist es nicht.
Alphons : Woher wißt Ihr das?
Lucretia : Ich bin dessen gewiß. Der junge Mann ist von Venedig und nicht von Ferrara. Also…
Alphons : Was beweist das?
Lucretia : Die Sache geschah heute Morgen, und ich weiß, daß er den Morgen bei einer gewissen Fiametta zugebracht hat.
Gennaro : Nein, Donna.
Alphons : Eure Hoheit sieht wohl, daß sie schlecht unterrichtet ist. Laßt mich ihn fragen. – Hauptmann Gennaro, habt Ihr das Verbrechen begangen?
Lucretia (verwirrt): Man erstickt hier! Luft! Luft! Ich muß ein wenig Atem schöpfen! Sie tritt an ein Fenster; während sie an Gennaro vorbeigeht, sagt sie ihm rasch und leise: Sage: nein!
Alphons : bei Seite: Sie hat leise mit ihm gesprochen.
Gennaro : Herzog Alphons, die Fischer von Calabrien, die mich erzogen und die mich, wie ich noch ganz jung war, in das Meer getaucht haben, um mich stark und kühn zu machen, haben mich einen Grundsatz gelehrt, bei dem man wohl oft sein Leben, aber nie seine Ehre wagt: »Tue, was du sagst, sage, was du tust.« Herzog Alphons, ich bin der Mann, den Ihr sucht.
Alphons (sich zu Lucretia wendend): Ihr habt mein fürstliches Wort, Donna.
Lucretia : Ich habe Euch einige Worte insgeheim zu sagen,
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