George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
fundamentalen Veränderung, zum Beispiel mit der Ausbreitung des Internets, und wird von einer Fehlinterpretation des neuen Preistrends gefolgt, der sich aus dem Wandel ergibt. Anfangs verstärkt diese Fehlinterpretation sowohl den Trend als auch die Fehlinterpretation selbst, aber irgendwann wird die Kluft zwischen der Wirklichkeit und ihrer Interpretation durch die Märkte so groß, dass sie unhaltbar wird.
Die Fehlauffassung wird dann zunehmend als solche erkannt, es setzt eine Desillusionierung ein und die veränderte Wahrnehmung beginnt, die fundamentalen Bedingungen in der entgegengesetzten Richtung zu beeinflussen. Irgendwann kehrt sich der Trend der Marktpreise um. Wenn die Preise sinken, dann sinkt auch der Wert der Sicherheiten, mit denen Darlehen unterlegt wurden, und dies führt zu Nachschussforderungen. Die Inhaber von Wertpapieren müssen sie dann zu Notfallpreisen verkaufen, um die Mindestanforderungen an Cashbestand oder Kapital zu erfüllen, und solche Verkäufe führen häufig dazu, dass der Markt in der entgegengesetzten Richtung über das Ziel hinausschießt. Der Zusammenbruch ist tendenziell kürzer und steiler als der vorangegangene Aufschwung.
Diese Abfolge widerspricht der gängigen Ansicht, wonach die Märkte einem Gleichgewicht zustreben und Abweichungen vom Gleichgewicht nach einem zufälligen Muster erfolgen. Die weithin gebräuchlichen synthetischen Finanzinstrumente, beispielsweise die Collateralized Debt Obligations (CDOs), die bei der Verwandlung der Subprime-Hypothekenkrise in eine viel größere Finanzkrise eine so wichtige Rolle gespielt haben, gründen sich auf diese Ansicht.
Tatsächlich haben es die Finanzinstitutionen, die Ratingagenturen und die Regulierungsbehörden versäumt, die Möglichkeit einer anfänglich selbst verstärkenden, aber später selbst zerstörenden Abfolge von Aufschwung und Zusammenbruch zu berücksichtigen. Sie haben ihre Risikokalkulationen auf falsche Voraussetzungen gegründet. Als die Subprime-Blase platzte, verloren als AAA geratete CDOs und andere synthetische Instrumente plötzlich einen großen Teil ihres Werts. Die Subprime-Krise griff mit alarmierender Geschwindigkeit auf andere Märkte über und die Solvenz der kreditwürdigsten Finanzinstitutionen wurde auf einmal in Zweifel gezogen.
Im Moment erleben wir das Platzen einer Kreditblase, die das gesamte Finanzsystem betrifft. Gleichzeitig erleben wir den Anstieg und schließlich den Fall des Ölpreises und anderer Rohstoffpreise, die einige Eigenschaften einer Blase aufweisen. Ich glaube, dass diese beiden Phänomene im Rahmen dessen miteinander in Zusammenhang stehen, was ich als Super-Blase bezeichne, die sich im letzten Vierteljahrhundert entwickelt hat. Der fundamentale Trend dieser Super-Blase war der zunehmende Einsatz von Schuldenhebeln – man lieh sich Geld, um Konsum und Investments zu finanzieren –, und die fundamentale Fehlauffassung bezüglich dieses Trends war das, was ich als Marktfundamentalismus bezeichne, also die Überzeugung, die Märkte würden für die bestmögliche Verteilung der Ressourcen sorgen.
So viel zu Blasen im Allgemeinen. Konkret auf den Ölmarkt bezogen bin ich überzeugt, dass vier Hauptfaktoren im Spiel sind, die einander gegenseitig verstärken. Zwei davon sind fundamental und zwei sind in dem Sinne „reflexiv“, dass sie Tendenzen des Marktes beschreiben, die sich ihrerseits auf die angeblich fundamentalen Bedingungen von Angebot und Nachfrage auswirken.
Zunächst einmal steigen die Kosten für die Entdeckung und Erschließung neuer Reserven und die alternden Ölreserven werden in immer schnellerem Tempo aufgebraucht. Dazu gibt es das irreführende Schlagwort „Peak Oil“, das besagt, wir hätten den Höhepunkt der weltweiten Förderung erreicht oder fast erreicht. Dieses Konzept ist deshalb irreführend, weil es durch höhere Preise wirtschaftlich machbar wird, kostspieligere Energiequellen zu erschließen. Aber es enthält auch ein wichtiges Körnchen Wahrheit: Einige der am leichtesten zugänglichen und ergiebigsten Ölquellen in Ländern wie Saudi-Arabien oder Mexiko wurden vor 40 oder mehr Jahren entdeckt und ihre Ergiebigkeit geht jetzt rapide zurück.
Zweitens besteht die „reflexive“ Tendenz, dass das Ölangebot bei steigenden Preisen sinkt, sodass sich die normale Form der Angebotskurve umkehrt. Üblicherweise erhöhen ja die Produzenten das Angebot, wenn der Preis eines Produkts steigt. Ölproduzenten, die mit einem weiteren Anstieg
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