George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
des Ölpreises rechnen, haben jedoch weniger Anreiz, ihre unterirdischen Ölreserven in oberirdische Dollarreserven umzuwandeln. Sie rechnen sich möglicherweise aus, dass sie besser dran sind, wenn sie ihre Reserven langsamer ausbeuten. Dies hat zu dem geführt, was viele als rückwärts geneigte Angebotskurve bezeichnen. Und zusätzlich versetzt der hohe Ölpreis politische Regimes, die sowohl ineffizient als auch dem Westen feindlich gesonnen sind, in die Lage, sich an der Macht zu halten – vor allem Iran, Venezuela und Russland. Die Ölförderung dieser Länder geht zurück.
Drittens halten die Länder, in denen die Nachfrage am schnellsten wächst – vor allem die großen Ölproduzenten sowie China und andere asiatische Exportländer –, die Energiepreise im Inland durch Subventionen künstlich niedrig. Deshalb senken Preisanstiege die Nachfrage nicht so stark, wie sie es unter normalen Umständen tun würden. Man kann dies zu den fundamentalen Gegebenheiten zählen, auch wenn sich die Politik dieser Staaten unter ihrem Haushaltsdruck nach und nach ändert.
Und schließlich wird die Nachfrage noch durch Spekulationen erhöht, die tendenziell den Trend des Marktes verstärken. Das ist ein durch und durch reflexives Phänomen. Zusätzlich zu den Hedgefonds und den Privatanlegern engagieren sich auch institutionelle Anleger wie Pensionsfonds und Stiftungsfonds zunehmend in Rohstoffindizes, die nicht nur Öl, sondern auch Gold und andere Rohstoffe umfassen. Tatsächlich sind solche institutionellen Investoren an den Futures-Märkten mittlerweile „der Elefant, den keiner sehen will“. Rohstoffe sind inzwischen eine für institutionelle Anleger geeignete Anlageklasse und sie erhöhen ihre Positionen in dieser Anlageklasse, indem sie in Rohstoffindizes investieren. Im Frühjahr und im Frühsommer 2008 sind die Spotpreise für Öl und andere Rohstoffe weit über die Grenzkosten für die Produktion gestiegen. Dabei sind die Preise für Forward-Kontrakte viel schneller gestiegen als die Spotpreise. Die Preischarts nehmen die Form einer Parabel an, was typisch für im Entstehen begriffene Blasen ist.
Haben wir also eine Blase? Die Antwort lautet, dass ein Aufwärtstrend des Ölpreises, der stark in der Realität verwurzelt ist, von einer Blase überlagert wird. Es ist eine Tatsache, dass – falls keine Rezession kommt – die Nachfrage schneller steigt als das Angebot an verfügbaren Reserven. Dieser Zustand würde selbst dann fortbestehen, wenn die Spekulation und die Käufe von Rohstoffindizes wegfallen würden. Bei meiner Besprechung des Blasenelements lege ich den Schwerpunkt auf die institutionellen Käufe von Rohstoffindizes, weil sie so perfekt zu meiner Theorie der Blasen passen.
Dass die Rohstoffindizes gekauft werden, beruht auf einer Fehlauffassung. Die Investition in Rohstoffindizes ist kein produktiver Kapitaleinsatz. Als man etwa im Jahr 2002 anfing, massiv für diese Idee zu werben, hatte das seinen Grund. Rohstoff-Futures waren billiger als Rohstoffe am Kassamarkt und die Institutionen konnten aus dieser sogenannten Backwardation – dem Betrag, um den der Spotpreis über dem Futures-Preis lag – zusätzlichen Gewinn ziehen. Indirekt stellten die Finanzinstitutionen den Rohstoffproduzenten, die ihre Produkte im Voraus verkaufen – sie bekommen einen festen Preis für Rohstoffe, die sie zu einem späteren Zeitpunkt liefern –, somit Kapital zur Verfügung, mit dem sich diese die Finanzierung von Investitionen in zusätzliche Produktion sichern konnten. Dies war ein legitimer Kapitaleinsatz. Aber der Andrang wurde immer größer und diese Gewinnmöglichkeit verschwand wieder. Nichtsdestotrotz lockt diese Anlageklasse einfach deshalb zusätzliche Investitionen an, weil sich gezeigt hat, dass sie rentabler ist als andere Vermögenswerte. Es ist ein klassisches Beispiel dafür, dass ein Preistrend eine Fehlauffassung aufkommen lässt und dass er sich in beide Richtungen selbst verstärken kann.
Mich erinnern die Käufe von Rohstoffindizes auf unheimliche Weise an die ähnliche Modeerscheinung der Portfolioversicherung, die zu dem Börsencrash 1987 geführt hat. In beiden Fällen steigen institutionelle Investoren massiv auf der einen Seite des Marktes ein und besitzen ausreichend Gewicht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wenn sich der Trend umkehren würde und die Institutionen würden ebenso wie 1987 geschlossen zu den Ausgängen rennen, würde es einen Crash geben. Wenn Indexkäufe und
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