George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika

das Bankensystem rettet und dann ab 2013 die Inhaber von Staatsanleihen durch die Einführung von Umschuldungsklauseln zur Verantwortung zieht. Infolgedessen wird die Europäische Union etwas Schlimmeres erleben als ein verlorenes Jahrzehnt. Sie wird eine chronische Divergenz erleben: Die Überschussländer werden florieren und die Defizitländer werden von der Bürde der angehäuften Schulden niedergedrückt. Die Wettbewerbsanforderungen werden unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen verordnet werden, was defizitäre Länder in eine unhaltbare Position bringt. Sogar Spanien, das mit einem niedrigeren Verschuldungsgrad als Deutschland in die Eurokrise hineingegangen ist, könnte dadurch abstürzen.
    Berlin zwingt solche Vereinbarungen unter dem Druck der öffentlichen Meinung in Deutschland auf, aber der deutschen Öffentlichkeit wurde nicht die Wahrheit gesagt, und deshalb ist sie verwirrt. Die Lösung der Eurokrise, die diese Woche auf den Weg gebracht werden soll, wird das Europa der zwei Geschwindigkeiten in Stein meißeln. Dies wird Verstimmungen hervorrufen, die den politischen Zusammenhalt der EU gefährden werden.
    Zwei grundlegende Veränderungen sind notwendig: Erstens muss die EFSF das Bankensystem und auch die Mitgliedstaaten retten. Dadurch wird es möglich sein, die Staatsschulden zu restrukturieren, ohne dadurch eine Bankenkrise auszulösen. Das Ausmaß des Rettungspakets könnte gleich bleiben, denn jede Summe, die für die Kapital-oder Liquiditätsausstattung von Banken verwendet wird, reduziert den Betrag, der an souveräne Staaten ausgeliehen werden muss. Wenn man die Banken unter europäische Aufsicht stellt, anstatt sie den Händen nationaler Behörden zu überlassen, würde dies zur Wiederherstellung des Vertrauens in das Bankensystem beitragen.
    Um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, müssen zweitens die Risikoprämien auf die Darlehenskosten von Ländern, die sich an die Regeln halten, beseitigt werden. Dies könnte dadurch erreicht werden, dass man den größten Teil der Staatsanleihen in Eurobonds umtauscht. Dann müssten die Länder ihre eigenen Anleihen mit Umschuldungsklauseln ausgeben und den Risikoaufschlag nur für den Betrag bezahlen, der über die Maastricht-Kriterien hinausgeht.
    Der erste Schritt dahin könnte und sollte gleich auf dem Gipfel am Donnerstag unternommen werden, der zweite wird warten müssen. Die deutsche Öffentlichkeit ist noch weit davon entfernt, dies zu akzeptieren, aber es ist notwendig, um wieder für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Dies muss klargestellt werden, um Defizitländern die Hoffnung zu geben, dass sie aus ihrer defizitären Notlage herauskommen können, wenn sie hart genug daran arbeiten.

DIE WAHREN EUROPÄER BRAUCHEN JETZT EINEN „PLAN B”
Financial Times , 13. Juli 2011
    Die Europäische Union wurde durch das ins Leben gerufen, was Karl Popper als „Stückwerk-Technik“ bezeichnete. Eine Gruppe weitsichtiger Staatsmänner, die von der Vision Vereinigter Staaten von Europa beseelt waren, erkannte, dass man sich diesem Ideal nur schrittweise nähern konnte, indem man begrenzte Ziele aufstellte, den politischen Willen zu ihrer Erreichung mobilisierte und Verträge schloss, die von den Ländern die Aufgabe von Souveränität nur in einem politisch erträglichen Maß verlangten. Und so wurde die in der Nachkriegszeit gegründete Montanunion in die EU verwandelt – Schritt für Schritt, natürlich in dem Bewusstsein, dass jeder Schritt unvollständig war und zu gegebener Zeit weitere Schritte erforderte.
    Die Architekten der EU erzeugten den nötigen politischen Willen, indem sie an den Zweiten Weltkrieg, die Bedrohung durch die Sowjetunion und die wirtschaftlichen Vorzüge größerer Integration erinnerten. Dieser Prozess wurde durch seinen eigenen Erfolg verstärkt, und als die Sowjetunion zerfiel, erhielt er durch die Aussicht auf die deutsche Wiedervereinigung einen mächtigen Schub.
    Deutschland erkannte, dass es nur im Kontext einer größeren europäischen Integration wiedervereinigt werden konnte, und es war bereit, diesen Preis zu bezahlen. Da die Deutschen dadurch zu der Versöhnung widerstreitender nationaler Interessen beitrugen, dass sie zu Zugeständnissen bereit waren, erreichte die europäische Integration mit dem Vertrag von Maastricht und der Einführung des Euros ihren Höhepunkt.
    Der Euro war jedoch eine mängelbehaftete Währung: Er hatte eine Notenbank, aber kein Finanzministerium. Seine Architekten waren