George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
sein. Die europäische Elite muss zu den Prinzipien zurückkehren, die die Gründung der Union bestimmten. Sie muss anerkennen, dass unser Verständnis der Realität grundsätzlich unvollkommen ist, dass Wahrnehmungen zwangsläufig verzerrt und Institutionen mit Fehlern behaftet sind. Eine offene Gesellschaft betrachtet die herrschenden Arrangements nicht als sakrosankt. Wenn diese Arrangements fehlschlagen, lässt sie Alternativen zu.
Es dürfte möglich sein, in Europa eine schweigende Mehrheit hinter der Idee zu versammeln, dass man dann, wenn der Status quo unhaltbar wird, lieber nach einer europäischen Lösung als nach einzelstaatlichen Lösungen suchen sollte. Die „Wahren Europäer“ sollten eigentlich zahlreicher sein als die Wahren Finnen und sonstige Antieuropäer in Deutschland und anderswo.
DEUTSCHLAND MUSS DEN EURO VERTEIDIGEN
Financial Times , 12. August 2011
Die Finanzmärkte verabscheuen Ungewissheit. Deshalb befinden sie sich jetzt im Krisenmodus. Die Regierungen der Eurozone haben zwar ein paar wesentliche Schritte in die richtige Richtung zur Lösung der Eurokrise unternommen, aber offensichtlich gingen sie nicht weit genug, um die Märkte zu beruhigen.
Auf dem Gipfel am 21. Juni haben die europäischen Regierungen eine Reihe Halbheiten beschlossen. Sie haben zwar prinzipiell entschieden, dass ihre neue Finanzbehörde – die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) – für die Lösung von Solvenzproblemen zuständig sein soll, aber sie haben die EFSF nicht vergrößert. Das reichte nicht ganz, um eine glaubwürdige Finanzbehörde der Eurozone einzurichten. Außerdem tritt der neue Mechanismus frühestens ab September in Kraft. In der Zwischenzeit ist die Bereitstellung von Liquidität durch die Europäische Zentralbank die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass die Preise der von mehreren europäischen Ländern ausgegebenen Anleihen einbrechen.
In ähnlicher Weise erweiterten die Staatschefs der Eurozone zwar die Zuständigkeit der EFSF für die Solvenz von Banken, machten aber davor halt, die Bankenaufsicht von einzelstaatlichen Behörden auf eine europäische Behörde zu übertragen. Und sie boten Griechenland ein erweitertes Hilfspaket, ohne überzeugend zu argumentieren, dass die Rettung gelingen kann: Sie arrangierten die Rettung so, dass Anleiheinhaber am Griechenland-Rettungspaket teilnehmen, aber diese Vereinbarung kam den Banken mehr zugute als Griechenland.
Worüber man sich vielleicht die meisten Sorgen machen sollte: Europa hat zwar endlich das Prinzip anerkannt – dem der IWF schon lange folgt –, dass Länder, die sich in Rettungsprogrammen befinden, nicht über die Zinsen bestraft werden sollten. Dieses Prinzip wurde jedoch nicht auf Länder ausgeweitet, für die es noch keine Hilfsprogramme gibt. Infolgedessen mussten und müssen Spanien und Italien für ihre Kredite viel mehr bezahlen, als sie von Griechenland bekommen. Das gibt ihnen das Recht, aus der Griechenland-Rettung auszusteigen, und dadurch steigen die Aussichten, dass das Paket platzen könnte. Die Finanzmärkte haben diese Möglichkeit erkannt und die Risikoprämien für spanische und italienische Anleihen auf unhaltbare Niveaus erhöht. Die Intervention der EZB hat zwar geholfen, aber das Problem nicht behoben.
Die Situation wird unerträglich. Die Politiker wollen sich Zeit erkaufen, aber die Zeit geht ihnen aus. Die Krise strebt schnell auf einen Höhepunkt zu.
Deutschland und die anderen Mitglieder der Eurozone, die ein AAA-Rating haben, müssen entscheiden, ob sie bereit sind, ihre eigene Bonität zu riskieren, damit Spanien und Italien ihre Anleihen zu vernünftigen Zinsen finanzieren können. Andernfalls werden Spanien und Italien unweigerlich in Hilfsprogramme gedrängt. Kurz gesagt müssen Deutschland und die anderen Länder mit AAA-Anleihen der Einführung von Eurobonds auf die eine oder andere Art zustimmen. Anderenfalls bricht der Euro zusammen.
Man sollte sich klarmachen, dass ein ungeregelter Staatsbankrott oder der Austritt aus der Eurozone selbst eines kleinen Landes wie Griechenland eine Bankenkrise auslösen würde, die mit derjenigen vergleichbar wäre, die die Große Depression auslöste. Jetzt stellt sich nicht mehr die Frage, ob es sich lohnt, eine gemeinsame Währung zu haben. Der Euro existiert und sein Kollaps würde dem Bankensystem unkalkulierbare Verluste bescheren. Somit ist die Wahl, vor der Deutschland steht, eher scheinbar als real – und sie wird umso
Weitere Kostenlose Bücher