Georgette Heyer
an etwas anderem als an seinen Büchern. Er ist ein
Gelehrter – ein glänzender Gelehrter!»
«Heiliger Himmel, wie gräßlich
langweilig!» bemerkte Lady Steeple mit schlichter Aufrichtigkeit. «Zu denken,
daß du mit einem Einsiedler und einem Gelehrten eingesperrt warst, deprimiert
mich direkt. Du armes Kind! Oh, du warst das Dornröschen. Wie rührend! Aber es
hätte doch ein Prinz kommen müssen, der dich wach küßt. Es ist zu schlimm!»
«Der ist auch gekommen», sagte
Venetia. Sie errötete leicht. «Nur hat er es sich in den Kopf gesetzt, daß er
kein Prinz, sondern nur ein Thronräuber im Prinzengewand ist.»
Lady Steeple war sehr erheitert.
«Oh, aber das verpatzt die Geschichte!» protestierte sie. «Außerdem, warum
soll er sich für einen Thronräuber halten? Das ist ganz unwahrscheinlich!»
«Ja, aber Sie wissen doch, wie
Prinzen im Märchen sind, Ma'am! Jung und schön und tugendhaft! Und
wahrscheinlich todlangweilig», fügte sie nachdenklich hinzu. «Nun, mein
Thronräuber ist in Wirklichkeit nicht sehr jung und nicht schön und bestimmt
nicht tugendhaft – ganz im Gegenteil. Anderseits – langweilig ist er nicht.»
«Du hast dich ganz klar in einen
Wüstling verliebt! Aber wie interessant! Erzähle mir doch alles über ihn!»
«Ich glaube, Sie kennen ihn
wahrscheinlich, Ma'am.»
«Ach nein, wirklich? Wer ist es?»
«Damerel», antwortete Venetia.
Lady Steeple gab es einen Ruck.
«Was?! Unsinn, du schwindelst. Bestimmt!» Sie brach ab und runzelte die Bräuen.
«Ich erinnere mich jetzt – sie haben doch einen Besitz dort, nicht? – die Damerels
–, nur waren sie kaum je dort. Also hast du ihn doch kennengelernt – und
natürlich hat er dich herumgekriegt – und du hast dein Herz an ihn verloren,
Teufel, der er ist! Na, meine Liebe, ich muß schon sagen, er hat außer deinem
noch Dutzende anderer Herzen gebrochen, also trockne deine Tränen und mach
dich daran, selbst ein paar zu brechen. Es ist bei weitem amüsanter, versichere
ich dir!»
«Ich kann mir nichts vorstellen, was
derart amüsant wäre, als mit Damerel verheiratet zu sein», sagte Venetia.
«Mit ihm verheiratet! Himmel, sei
keine Gans! Damerel hat noch nie in seiner ganzen skandalösen Laufbahn jemanden
heiraten wollen!»
«O doch, Ma'am, er wollte! Er wollte
einmal Lady Sophia Vobster heiraten, nur hat sie sich höchst glücklicherweise
in jemand anderen verliebt; und jetzt will er mich heiraten.»
«Irregeleitetes Mädchen! Er hat dich
angeschwindelt!»
«Ja, er hat versucht, mich
anzuschwindeln, so daß ich denken sollte, er hätte nur mit mir gespielt, und
wenn sich meine Tante nicht die Wahrheit hätte entschlüpfen lassen, wäre es ihm
wirklich gelungen. Das – das ist der Grund, warum ich zu Ihnen gekommen bin,
Ma'am. Sie allein könnten mir helfen – wenn Sie wollten!»
«Ich dir helfen?» Lady Steeple
lachte, diesmal aber nicht so melodiös. «Etwas Besseres ist dir nicht
eingefallen? Laß mich dir sagen – ich könnte dich viel leichter ruinieren!»
«Ich weiß, daß Sie das könnten»,
sagte Venetia freimütig. «Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie das selbst sagen,
weil es mir viel weniger peinlich macht, Ihnen das Ganze zu erklären. Sehen
Sie, Ma'am, Damerel glaubt, wenn er mir einen Heiratsantrag macht, würde er mir
ein großes Unrecht zufügen, weil er und mein Onkel Hendred miteinander
gefunden haben, daß ich andernfalls eine glänzende Partie machen würde, während
ich, wenn ich ihn heirate, sehr wahrscheinlich von der guten Gesellschaft
gemieden und eine Vagabundin werden würde wie er. Mir gefiele das
außerordentlich, daher ist das, was ich jetzt tun muß, ihn überzeugen, daß ich,
statt eine glänzende Partie zu machen, am Rand des totalen gesellschaftlichen
Ruins stehe. Ich habe mir das Gehirn zermartert, wie ich das anstellen könnte,
aber ich konnte keinen Ausweg finden – zumindest keinen, der zweckdienlich
wäre! – und ich war so schrecklich verzweifelt – oh, so elend! Und dann,
gestern abend, als mir meine Tante erzählte – sie dachte, ich würde entsetzt
sein, aber ich war überglücklich, weil ich blitzartig sah, daß Sie der einzige
Mensch sind, der mir helfen kann!»
«Zum gesellschaftlichen Ruin! Na,
ich muß schon sagen!» rief Ihre Gnaden. «Und das alles, damit du den Wüstling
Damerel heiraten kannst – was ich nicht glaube! Nein, ich glaube es einfach
nicht!»
Aber als sie die Geschichte jener
Herbstidylle gehört hatte, glaubte sie es. Sie schaute ihre
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