Georgette Heyer
wiederzusehen, oder ob sie
über die Nachricht froh gewesen wäre, daß er die Priory verlassen hatte. Es
war sicherlich langweilig, auf den eigenen Park beschränkt zu sein, aber das,
hatte sie entschieden, mußte ihr Schicksal bleiben, falls sie nicht mit Aubrey
ausritt. Denn sowenig sie auch auf die düsteren Warnungen Nurses achtete, war
sie sich durchaus der Möglichkeit bewußt, daß Damerel ihr auflauerte, und
zweifelte nicht daran, daß er, sollte er entdecken, daß sie allein
spazierenging, glauben würde, sie suche seine Annäherung. Im übrigen, dachte
sie, würde sie froh sein, wenn sie hörte, daß er fortgefahren war. Er war
gefährlich. Sein Benehmen war nicht zu entschuldigen. Und ihm wiederzubegegnen
konnte eventuell demoralisierend für ein Mädchen sein, das ein derart
klösterlich abgeschlossenes Leben geführt hatte, wie es das ihre gewesen war.
Aber als eine Woche ohne ein Zeichen
von ihm vorbeikroch, war sie pikiert. Er war immer noch in der Priory, aber er
machte keinen wie immer gearteten Versuch, mit seinen Nachbarn bekannt zu
werden. Die Dorfklatschmäuler berichteten sehr erstaunt, er interessiere sich
tatsächlich für die Angelegenheiten seines Besitzes. Und Croyde, sein
Gutsverwalter, der lange gelitten hatte und dem zum erstenmal erlaubt wurde,
Damerel all die schreienden Notwendigkeiten vorzutragen, die bisher nie
erfüllt worden waren, hegte eine Spur Optimismus: obwohl Seine Lordschaft
bisher noch keine Ausgaben bewilligt hatte, hörte er doch wenigstens auf Ratschläge
und sah mit seinen eigenen Augen den langsamen Verfall guten Bodens unter
schlechter Bewirtschaftung. Edward, ein Skeptiker, sagte, das einzige, was
Damerel dazu verführen könnte, einen Groschen auf Reparaturen oder
Verbesserungen zu verwenden, würde die Hoffnung sein, aus dem Besitz einen
größeren Ertrag herausquetschen zu können, damit er ihn auf seine Vergnügungen verschwendete. Venetia hätte den
Verdacht gehabt, daß sein plötzliches Interesse an seinem Erbe nichts als ein
Vorwand war, in der Priory zu bleiben, hätte er irgendeinen Versuch gemacht,
sie aufzusuchen. Sie meinte, es wäre für ihn nicht schwierig gewesen, einen
Vorwand zu finden, um in Undershaw vorzusprechen. Aber da sie viel zu
unerfahren war, um zu erkennen, daß Damerel, ein Experte in der Kunst der
Tändelei, eine Taktik anwandte, von der niemand besser wußte als er, daß sie
quälend war, war sie zu dem Schluß gezwungen, daß sie für ihn doch nicht eine
so starke Anziehungskraft besaß, wie sie angenommen hatte. Es gab zwar für
Seine Lordschaft nichts anderes als eine Abfuhr in Undershaw zu holen, aber
enttäuschend war es doch, daß man keine Gelegenheit bekam, sie ihm zu
verabfolgen. Sie entdeckte, wie sie sich eine zweite Begegnung vorstellte; und
zwischen Abscheu vor sich selbst und Groll gegen Damerel, daß er sie für so
billig einschätzte, wurde sie derart gereizt, daß Aubrey sie fragte, ob sie
sich denn gesundheitlich wirklich wohlfühle.
Und schließlich waren es weder sie
noch Damerel, die ein zweites Treffen herbeiführten, sondern Aubrey.
Damerel ritt gerade mit Croyde nach
einer seiner Inspektionstouren heim, als ein schwacher Hilferuf ihn mitten im
Satz abbrechen und Umschau halten ließ. Der Ruf kam noch einmal, und Croyde,
der in den Bügeln aufstand, damit er über die Hecke schauen konnte, die sich
längs des Weges dahinzog, rief aus: «Guter Gott, das ist ja Mr. Aubrey!
Natürlich, hab ich mir's doch gedacht! – Dieser tolle junge Braune von ihm ist
mit ihm gestürzt, wie ich es ja immer gesagt habe! Wenn mich Eure Lordschaft
entschuldigen wollen, werde ich mich um ihn kümmern.»
«Ja natürlich. Gibt es hier ein Tor,
oder stoßen wir durch die Hecke?»
Etwas weiter am Heckenweg gab es ein
Gatter, wenige Augenblicke später waren beide Männer abgestiegen, und Croyde
kniete neben Aubrey, der knapp neben dem Graben lag, der mit der Hecke
zusammen das Stoppelfeld von einem Streifen Weideland trennte. Aubreys Pferd
stand in einiger Entfernung, und als Damerel sich näherte und es sich nervös
bewegte, war zu sehen, daß es schwer lahmte.
Aubrey war totenbleich und litt
beträchtliche Schmerzen. Er sagte schwach: «Ich bin auf mein schwaches Bein
aufgefallen. Ich kann nicht aufstehen. Ich glaube, ich war bewußtlos. Wo ist
Rufus? Stürzte auf die Vorhand. Ich hoffe zu Gott, daß er sich nicht die Knie
gebrochen hat!»
«Denken Sie jetzt nicht an dieses
tolpatschige Biest, Sir!» sagte Croyde scheltend.
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