Georgette Heyer
Gefühl, daß bald mein letztes
Stündlein geschlagen hat.» Damit ergriff Seine Lordschaft Hut und Spazierstock,
wünschte seiner sprachlosen Cousine ein kurzes Lebewohl und riß mit einer nicht
eben galanten Geste die Tür auf, um Leonie den Vortritt zu lassen.
16
Als Miss Challoner und Mr. Comyn Dijon
erreichten, wurde beiden bei dem Gedanken an ihre bevorstehende Hochzeit
insgeheim das Herz schwer, aber trotzdem waren sie fest entschlossen, sich so
bald wie möglich trauen zu lassen. Mr. Comyn wurde durch sein Ehrgefühl und
Miss Challoner durch ihre Angst vor dem Erscheinen des Marquis in diesem
Entschluß bestärkt.
Sie kamen
spät am Tag an und quartierten sich sogleich im besten Gasthof am Platze ein.
Miss Challoner bat Mr. Comyn, unverzüglich den englischen Priester aufzusuchen,
doch er weigerte sich hartnäckig, ihrem Verlangen vor dem nächsten Morgen
nachzukommen, und behauptete, man würde es sicher sehr merkwürdig finden, wenn
ein Fremder zu einer so unpassenden Zeit wie zur Dinnerstunde vorsprach. Außerdem,
fügte er hinzu, müsse er betonen, er fürchte sich keineswegs vor Lord Vidal,
wie sie anscheinend – und zwar völlig zu Unrecht annahm. Miss Challoner
äußerte den Wunsch, unmittelbar nach der Heirat nach Italien abzureisen,
wogegen Mr. Comyn im großen und ganzen auch nichts einzuwenden hatte, nur ließe
es sich mit seiner Würde besser vereinbaren, sagte er, wenn er den Marquis –
falls man in der Tat mit seiner Ankunft rechnen durfte – hier in Dijon
erwartete. Er spürte kein Verlangen, einem Zusammentreffen mit Seiner
Lordschaft auszuweichen, und wies ausdrücklich darauf hin, daß ein übereilter
Aufbruch nach Italien zweifellos den unangenehmen Beigeschmack einer Flucht
hätte, da man ja allerseits wußte, was für ein tödlicher Pistolenschütze der
Marquis von Vidal war.
Die stets
vernünftige Miss Challoner zeigte volles Verständnis für die Gründe, die Mr.
Comyn bewogen, noch in Dijon zu bleiben, verhehlte jedoch nicht, daß ihr vor
den eventuellen Folgen graute, und erklärte ihm, sie sei prinzipiell dagegen,
eine Meinungsverschiedenheit mit der Waffe zu regeln. Mr. Comyn stimmte ihr zu
und beteuerte, auch er hielte das Duellieren für eine verdammenswerte Sitte,
die man seiner Ansicht nach verbieten sollte.
Am
folgenden Morgen machte er sich auf, um Mr. Leonard Hammond, der mit seinem
jungen Schützling in einem ungefähr drei Meilen von der Stadt entfernten
Château abgestiegen war, einen Besuch abzustatten. Miss Challoner, die sich
selbst überlassen blieb, ertappte sich dabei, wie sie beim geringsten Geräusch
nervös die Ohren spitzte und immer wieder zum Fenster eilte, um besorgt
hinauszuspähen. Schließlich entschied sie, so ginge das nicht weiter, und da
sie Mr. Comyn kaum vor Mittag zurückerwartete, setzte sie ihren Hut auf und
begab sich auf einen Spaziergang. Es mochte wohl an ihrer gegenwärtigen Stimmung
liegen, daß sie nichts fand, wofür sie auch nur eine Spur von Interesse
aufbringen konnte, und nachdem sie bei drei Putzmacherinnen und vier
Manteauschneiderinnen hineingeschaut hatte, ging sie wieder in den Gasthof, um
auf Mr. Comyns Rückkehr zu warten.
Er kam kurz
vor zwölf Uhr – allein und mit ernstem Gesicht. «Haben Sie Mr. Hammond nicht
gefunden, Sir?» begrüßte ihn Miss Challoner ängstlich.
Mr. Comyn
legte sorgfältig Hut und Reitgerte auf einen Stuhl. «Doch, ich hatte das Glück,
ihn in dem Château anzutreffen», antwortete er, «aber ich habe leider wenig
Hoffnung, daß er uns trauen wird.»
«Guter
Gott!» rief Miss Challoner. «Wollen
Sie damit sagen, daß er sich weigert?»
«Mr.
Hammond äußerte gewisse Bedenken, Madam, die ich, in Anbetracht der zweifellos
heiklen Situation, im Grunde gar nicht so abwegig finde. Meine Bitte mußte ihm
ja zwangsläufig etwas seltsam vorkommen. Kurzum, er war durchaus nicht
geneigt, sich auf eine so dubiose Angelegenheit einzulassen.»
Es kostete
Miss Challoner ein wenig Mühe, sich ihre Gereiztheit nicht anmerken zu lassen.
«Aber Sie haben ihm doch sicher alles erklärt und versucht, ihn zu überreden?»
«Ich habe
mich sehr bemüht, aber ohne Erfolg. Zum Glück – denn als solches erschien es
mir zumindest – hatte ich meine Visitenkarte bei mir, die ihn in bezug auf
meinen Stand und meine Glaubwürdigkeit beruhigte. Ich glaube annehmen zu
dürfen, daß ich, hätte ich Gelegenheit gehabt, mich ein bißchen länger unter
vier Augen mit ihm zu unterhalten, mein Anliegen vielleicht hätte
Weitere Kostenlose Bücher