Georgette Heyer
unbarmherzige Sonne nicht zu scheuen
brauchte, so daß Lady Fanny, die sich wohlbedacht mit dem Rücken zum Fenster
gesetzt hatte, nicht umhin konnte, die Herzogin mit leisem Neid zu betrachten.
Die vierundzwanzig Jahre, seit Avon sie als knabenhaftes Mädchen nach England
gebracht hatte, schienen fast spurlos an ihr vorübergegangen zu sein.
Leonies
Figur war so schlank wie eh und je, und ihr tizianrotes Haar, das sie noch en
négligé trug, durchzog keine einzige verräterische graue Strähne; ja selbst
ihre Augen, diese großen dunkelblauen Augen, die den Herzog als erstes bezaubert
hatten, versprühten noch ihr altes Feuer. Die Zeit ihrer Ehe hatte ihr eine
gewisse Würde verliehen – falls sie danach aufgelegt war, sie hervorzukehren,
und jenes Maß an weiblicher Klugheit, das ihr in früheren Tagen fehlte, doch
weder ihre Verpflichtungen als Ehefrau und Mutter noch die Last ihrer
gesellschaftlichen Stellung oder ihr hoher Rang hatten vermocht, ihr
gaminhaftes Wesen zu ändern. Lady Fanny hielt sie zwar für viel zu impulsiv,
aber da sie im Grunde ihres Herzens, soweit sie in ihrer Oberflächlichkeit dazu
fähig war, echte Zuneigung für ihre Schwägerin empfand, räumte sie ein, daß
dieser Mangel an Beherrschung Leonies Charme nur noch bezwingender machte.
Heute
jedoch war sie durchaus nicht in Laune, die Herzogin zu bewundern, denn das Leben
stellte sie mit so unerfreulichen Tatsachen wie unbezahlten Rechnungen und
pflichtvergessenen Töchtern auf eine harte Probe. Sie ärgerte sich sogar ein
wenig darüber, daß Leonie (die einen völlig unmöglichen Sohn hatte, wenn sie es
sich nur endlich eingestehen wollte) ihr so sorglos gegenübersaß.
«Ich weiß
beim besten Willen nicht», sagte sie ziemlich scharf, «warum wir
bedauernswerten Geschöpfe uns bis zur Selbstverleugnung für unsere Kinder
aufopfern, die doch allesamt undankbare Nervensägen sind und uns nur Schande
bereiten wollen.»
Leonie
runzelte die Stirn. «Ich glaube nicht», sagte sie ernst, «daß du das jemals von
John zu befürchten brauchst.»
«Oh, ich
sprach nicht von John!» erwiderte Mylady.
«Mit den
Söhnen ist das etwas anderes, obwohl ich das natürlich nicht ausgerechnet dir
gegenüber behaupten sollte, denn du hast ja mit dem armen lieben Dominic weiß
Gott Sorgen genug. Eigentlich müßtest du bei dem Kummer, den er dir macht,
trotz seiner Jugend schon längst schlohweiß sein.»
«Ich habe keine
Schwierigkeiten mit Dominique», sagte Leonie schlicht. «Im Gegenteil – ich
finde ihn fort amusant.»
«Dann wirst
du hoffentlich auch seine letzte Heldentat fort amusant finden», meinte
Lady Fanny sarkastisch. «Ich bin überzeugt, er wird sich dabei den Hals
brechen. Bei der gestrigen Soiree fiel ihm doch nichts Besseres ein, als mit
dem jungen Crossly – übrigens einer der übelsten Burschen, der mir je unterkam,
und ich wäre todunglücklich, wenn John sich mit ihm abgeben würde – zu wetten,
daß er sein Karriol in vier Stunden von London nach Newmarket kutschieren kann.
Soviel ich hörte, geht es um fünfhundert Guineen!»
«Er fährt
sehr gut», sagte Leonie hoffnungsvoll, «und ich glaube nicht, daß er sich den
Hals brechen wird. Aber tout même, Fanny, hast du ganz recht: man hat
schon seine Sorgen.»
«Und nicht
genug, daß er völlig absurde Wetten abschließt, die er natürlich verlieren muß
...»
«Er wird
nicht verlieren», rief Ihre Gnaden aufgebracht. «Und wenn du willst, wette ich
sogar mit dir, daß er gewinnt!»
«Grundgütiger
Himmel, ich wüßte nicht einmal, was ich dagegen setzen sollte», seufzte Lady
Fanny, für den Augenblick vom eigentlichen Thema abgelenkt. «Du hast leicht
lachen mit all dem Nadelgeld und den Juwelen, die du von Avon bekommst, aber
ich gebe dir mein Wort, daß ich jeden Moment damit rechne, an demselben
gräßlichen Ort zu landen, wo Rupert sich für gewöhnlich unfreiwillig aufhielt.
Stell dir vor, im ganzen vergangenen Monat habe ich kein einziges Mal beim Lu
oder beim Silberpharao gewonnen, und was Whist betrifft, wäre es mir
tatsächlich lieber, man hätte dieses verwünschte Spiel nie erfunden. Aber das
gehört nicht hierher – wenigstens muß ich nicht ruhig zusehen, wie sich
mein einziger Sohn mit seinen Wetten und seinen Straßenräubern und weiß der
Kuckuck was sonst noch allem zum Stadtgespräch macht.»
Leonie
wirkte plötzlich interessiert. «Oh, erzähl doch!» verlangte sie. «Was denn für
Straßenräuber?»
«Ach, eine
Kleinigkeit, aber es paßt ganz
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