Georgette Heyer
rüccsichtslos, verschwenderisch und arrogant;
sein Cousin Bertrand schien nichts anderes im Sinn zu haben als sein Vergnügen,
und auch Juliana, die sie eigentlich höher eingeschätzt hatte, war frivol und
berechnend. Lady Fanny präsentierte sich bei näherer Betrachtung als ehrgeizige
Materialistin; Lord Rupert beschäftigte sich offenbar mit nichts anderem, als
sein Vermögen am Spieltisch oder bei sonstigen Amüsements zu vergeuden, und
Seine Gnaden, der Herzog von Avon, schien ein eiskalter, unheimlicher Patron
zu sein. Die einzige, die Miss Challoner gern kennengelernt hätte, war die
Herzogin. So kam sie zu der Überzeugung, daß Mr. Comyn zwar mit einem blauen
Auge, aber doch zur rechten Zeit davongekommen war, und das erinnerte sie
wiederum daran, daß sie selbst ja noch in der Falle saß.
Auch wenn
es in Anbetracht der Tatsache, daß man immerhin in einem zivilisierten
Zeitalter lebte, geradezu lächerlich erscheinen mochte, hegte Miss Challoner
doch nicht den leisesten Zweifel, daß es Vidal gelingen würde, sie auf
irgendeine Weise nach Dijon zu schaffen, denn sie glaubte, es würde ihn letzten
Endes wesentlich mehr reizen, seinen Willen durchzusetzen, als seiner
ursprünglichen ritterlichen Anwandlung nachzugeben. Was er einmal angekündigt
hatte, mußte er auch tun – ohne Rücksicht auf die Folgen. Da er nun aber, wie
sie richtig überlegte, wohl kaum seine Braut mit Gewalt vor den Altar zerren
konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu dieser Reise nach Dijon zu
zwingen und sie derart zu kompromittieren, daß sich ihr nur noch die Ehe mit
ihm als Ausweg bot. Diese Lösung kam jedoch für sie nach wie vor nicht in
Frage. Sie hätte sich weiß Gott nichts Besseres wünschen können, als seine Frau
zu werden, aber andererseits besaß sie genug Verstand, um sich keine Illusionen
zu machen. Wie sollte das jemals gutgehen? Ja, wenn er sie geliebt hätte, wenn
sie ein Mädchen aus seinen Kreisen gewesen wäre (und von seiner Familie
gebilligt) – aber es war sinnlos, solche Luftschlösser zu bauen.
Natürlich
konnte sie sich früh am Morgen aus dem Haus schleichen, um sich in den tausend
verwinkelten Gassen von Paris zu verirren. Unwillkürlich mußte sie über diesen
naiven Einfall lächeln, denn sie war sicher, daß sie sich zwar verlaufen, Seine
Lordschaft hingegen, der Paris wie seine Westentasche kannte, sie bestimmt ohne
Schwierigkeit in absehbarer Zeit wiederfinden würde. Außerdem hatte sie kein
Geld und keine Freunde. Wenn sie also Mme. de Charbonnes schützendes Haus
verließ, konnte sie notgedrungen nur mehr einen einzigen Weg einschlagen, dem
sie eine Heirat mit Mr. Comyn noch bei weitem vorzog. Wenigstens stammte er
nicht aus Verhältnissen, die den ihren so meilenweit überlegen waren, und da
er kein besonders leidenschaftlicher Mensch zu sein schien, traute sie sich zu,
ihn halbwegs glücklich machen zu können. Schließlich und endlich, dachte sie,
haben wir beide nicht eben ein romantisches Gemüt, und zumindest wäre es eine
Möglichkeit, dem Damoklesschwert einer höchst ungewissen Zukunft zu entrinnen.
Mr. Comyn
saß einige Stunden später gerade bei seinem Frühstück, als ein offensichtlich
erstauntes Hausmädchen Miss Challoner ins Zimmer führte. Der Besuch einer
jungen, hübschen Dame, die ohne jede Begleitung und überdies zu so unpassender
Zeit erschien, erregte die heftige Neugier der Dienerin, so daß sie natürlich,
kaum hatte sie die Tür hinter Miss Challoner geschlossen, ihr Ohr ans
Schlüsselloch preßte. Die Unterhaltung wurde jedoch zu ihrem Bedauern auf
englisch geführt.
Mr. Comyn erhob
sich hastig und legte seine Serviette beiseite. «Miss Challoner!» rief er,
indem er ihr ein paar Schritte entgegenging, um sie zu begrüßen.
Mary trug
das graue Kleid und den Kapuzenmantel, wie in der Nacht ihrer Entführung. Als
sie Mr. Comyn die Hand zum Kuß reichte, sagte sie in ihrer ruhigen Art: «Sir,
Sie hatten nun Zeit, über alles nachzudenken. Wollen Sie nicht doch zu Miss
Marling zurückkehren?»
«Nein, auf
keinen Fall!» antwortete er und ließ ihre Hand los. «Ist es möglich – kommen
Sie vielleicht als Vermittlerin?»
Sie
schüttelte den Kopf. «Leider nein, Sir.»
Er hütete
sich, seiner Stimme die Enttäuschung anmerken zu lassen. «Dann gehe ich wohl
recht in der Annahme, Madam, daß Sie mir mitteilen wollen, welchen Entschluß
Sie in bezug auf mein Angebot gefaßt haben. Ich brauche Ihnen kaum zu
versichern, daß ich mich äußerst glücklich
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