Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskapaden
Vom Netzwerk:
eigentlich angenommen, daß
er Sie grob, ja sogar brutal behandelt hat, denn Rücksicht anderen Menschen
gegenüber scheint mir kaum zu Lord Vidals Tugenden zu zählen.»
    Die
Erinnerung entlockte ihr ein Lächeln. «Ich glaube, wenn er will, kann er sehr
nett sein», sagte sie halb zu sich selbst. «Er erwies mir verschiedene
kleine Aufmerksamkeiten, für die ich ihm sehr zu Dank verpflichtet
bin.» Ihre Augen wurden ein bißchen verschwommen, doch ihr Lächeln vertiefte
sich. «Wahrscheinlich würden Sie es einem Mann von seiner
Skrupellosigkeit nicht zutrauen, Sir, aber Seine Lordschaft war so freundlich,
mir an Bord seiner Jacht mit einer Schüssel zu Hilfe zu kommen, obwohl er zu
diesem Zeitpunkt furchtbar böse auf mich war. In meinem ganzen Leben war ich
noch nie über etwas so froh wie damals.»
    Mr. Comyn
war schockiert. «Es muß doch entsetzlich peinlich für Sie gewesen sein, Madam,
sich ohne jeden weiblichen Trost – äh – nicht wohl zu fühlen.»
    «Ja, es war
wirklich der unangenehmste Teil an dem ganzen Abenteuer», bestätigte Miss
Challoner. Dann fügte sie ehrlich hinzu: «Mir war nämlich
gräßlich übel, und ich glaube, ich wäre gestorben, wenn mich Seine Lordschaft
nicht rechtzeitig gezwungen hätte, einen Schluck Brandy zu trinken.»
    «Offenbar
eine äußerst unerquickliche Situation», sagte Mr. Comyn abweisend.
    Miss
Challoner merkte, daß sie sein Zartgefühl verletzt hatte, und fiel in ein
betrübtes Schweigen. Allmählich begann sie zu begreifen, daß Mr.
Comyn trotz seiner nüchternen Art einen Hang zur Romantik besaß, der einer im
Grunde so romantischen Figur wie Lord Vidal völlig fehlte.
    Die Reise
dauerte drei Tage und war für keinen von beiden ein Genuß. Miss Challoner, die
notwendigerweise bei jeder Station den Wortführer machte,
ertappte sich dabei, wie sie diese Flucht mit ihrer vorherigen Reise nach Paris
verglich, wo in den Herbergen die besten Zimmer für sie vorbereitet waren und
sie nichts zu tun brauchte als Mylords Befehlen zu gehorchen. Mr. Comyn
seinerseits dachte, daß seine Gefährtin eine den Umständen völlig
unangemessene Sachlichkeit an den Tag legte. Das Bestellen der Mahlzeiten in
den verschiedenen Gasthäusern und das Lüften von – wie sie erklärte – muffigen
Bettlaken schien sie weit mehr zu interessieren als das ganze unkonventionelle
und seiner Ansicht nach sehr wagemutige Unternehmen. Eine in dieser Situation
normalerweise
zu erwartende weibliche Ängstlichkeit hätte seinen ritterlichen Gefühlen ein
größeres Betätigungsfeld geschaffen, doch Miss Challoner blieb aufreizend
gelassen und übernahm sogar ohne das leiseste Anzeichen von Schwäche oder
irgendwelchen nervösen Anwandlungen die Organisation der Reise. Das einzige,
was eine gewisse innere Unruhe verriet, waren ihre wiederholten
Aufforderungen, schneller zu fahren. Mr. Comyn, der absolut keinen Wert
darauf legte, sich auf den holprigen, schlechten Straßen die Seele aus dem Leib
schütteln zu lassen, und überdies die Meinung vertrat, ein derart wahnwitziges
Tempo könnte den Anschein einer würdelosen Flucht erwecken, machte ihr deshalb
etliche Male ernste Vorwürfe, doch als er sich dazu verstieg, diese
übertriebene Hast als gefährlich zu bezeichnen, antwortete Miss Challoner
lachend, wenn er jemals mit dem Marquis gereist wäre, würde er ihr jetziges
Tempo für schneckenhaftes Dahinkriechen halten.
    Diese
Bemerkung in Zusammenhang mit einigen anderen, die sich alle auf Seine
Lordschaft bezogen, veranlaßten Mr. Comyn schließlich, nicht ohne einen Hauch
von Mißbilligung einzuwerfen, Miss Challoner habe ihre kürzliche Entführung
offenbar gar nicht so unangenehm empfunden, wie er es eigentlich vermutet hatte.
«Ich muß gestehen, Madam», sagte er, «daß ich mir vorstellte, Sie wären
hilflos einem Ungeheuer ausgeliefert gewesen, dessen schonungslose Brutalität
leider nur allzu bekannt ist. Allem Anschein nach habe ich mich aber geirrt,
denn wie ich Ihren Ausführungen wohl richtig entnehme, hat Sie Seine Lordschaft
mit einer für seinen Ruf ganz erstaunlichen Liebenswürdigkeit und Achtung
behandelt.»
    Ihre Augen
glitzerten ein bißchen. «Liebenswürdigkeit und Achtung ...» wiederholte sie.
«N-nein, Sir, das würde ich nicht gerade behaupten. Seine Lordschaft war
herrisch, arrogant, entsetzlich jähzornig und ausgesprochen grob.»
    «Und
trotzdem, Madam, fanden Sie ihn nicht abstoßend.»
    «Nein, ich
fand ihn nicht abstoßend», sagte sie ruhig.
    «Verzeihen
Sie»,

Weitere Kostenlose Bücher