Georgette Heyer
außer
einer stattlichen Anzahl Banknoten eine Spezial-Heiratslizenz und verschiedene
Visitenkarten mit Namen und Adresse Mr. Tarletons; in der Börse befanden sich
einige Guineen und Halbguineen.
Sherry
schob die Banknoten mit zitternder Hand wieder in die Brieftasche. «Vielleicht
trägt er ein paar lose Münzen in der Tasche, aber du hast recht», sagte er.
«Wenn er mit Mietpferden fährt, wird er nicht weiter kommen als zur ersten
Poststation. Er kennt die Wahrheit nicht: er glaubt selbstverständlich, daß sie
frei ist und ihn heiraten kann. Jason, du weißt bestimmt, daß er die
Radstockstraße gefahren ist?»
«Drauf nehm
ich meinen letzten Schluck!» erwiderte der Reitknecht.
«Hochzeit
in Wells – ja, das ist's, was er vorhat. Jason, bring mein Kabriolett vor die
Tür, so rasch du kannst! Fort mir dir!»
«Anthony»,
begann die Gräfinwitwe, die sich erhoben hatte, als Jason hinauseilte, um den
Auftrag auszuführen. «Willst du nicht auf deine Mutter hören? Bedarf es noch
weiterer Beweise, wessen dieses verdorbene Mädchen ...»
«Madam, ich
muß Sie bitten, nicht weiterzusprechen», unterbrach er sie mit so strengem
Blick, daß sie unwillkürlich zurückwich. «Mich allein trifft alle Schuld – an allem!
Ich bekam, was ich verdiente, das weiß ich jetzt, wenn Sie es auch nicht
wissen. Meine Torheit – meine Vernachlässigung, meine verwünschte Grausamkeit
ihr gegenüber haben sie zur Flucht getrieben. Bestimmt hat sie Lady Saltash
gezwungen, meinen Besuch für heute abend zu akzeptieren. Aber lieber, als mich
wiederzusehen ...» er brach ab, und seine Lippen bebten. «Aber deswegen muß
sie nicht – ich kann nicht zugeben, daß sie mit diesem Mann entflieht, bevor
ich – bevor ich sie freigegeben habe! Ich muß sie finden – muß Tarleton die
Umstände erklären – und sie wieder dem Schutz der Lady Saltash anvertrauen.»
Ferdy, der
in tiefes Nachdenken versunken war, sah ihn jetzt bedeutungsvoll an. «Sherry,
lieber alter Junge, weißt du, was ich glaube? Ist alles bloß ein Irrtum! Zehn
zu eins wette ich, daß dein Reitknecht nicht weiß, was er spricht. Er hat das
Kätzchen vielleicht auf einen Maskenball geführt. Du weißt ja, Maske ...»
«Ferdy, ich
hätte heute abend mit ihr dinieren sollen», sagte Sherry, und seine Stimme
brach.
«Dann muß
sie es rein vergessen haben. Zum Kuckuck, ist doch verteufelt leicht, eine
Dinnereinladung zu vergessen. Ist mir selbst schon oft passiert. Ist aber ganz
in Ordnung, hinter ihr herzufahren. Es gehört sich nicht, mit einem Burschen
in Maske herumzukutschieren: man hätte sie warnen sollen. Aber, Sherry, nimm es
nicht wieder übel, und erschrecke das arme kleine Seelchen nicht zu Tode.»
«Nein,
nein. Wie ich es allerdings fertigbringen soll, den Burschen Tarleton nicht zu
erwürgen – aber keine Angst! Ich werde mich beherrschen.»
Ferdy faßte
einen großmütigen Entschluß. «Sherry, weißt du was? Ich werde dich begleiten»,
sagte er. «Zum Teufel, ich werde doch einen Freund nicht im Stich lassen!»
25
Hero, die mit so wenig Förmlichkeiten in
die Postkutsche hineinbefördert worden war und jetzt gerüttelt und geschüttelt
durch die Straßen von Bath fuhr, hatte weder die leiseste Ahnung, wohin die
Fahrt ging, noch warum Sherry sich nicht zu ihr in die Kutsche gesetzt hatte.
Sie zog eine Decke, die sie auf einem Sitz fand, über ihre Knie, setzte sich in
eine Wagenecke und hielt sich an einem der Gurte fest, die als Armstützen
dienten; im übrigen sah sie der Entwicklung der Dinge im Zustande freudigster
Erregung entgegen. Ja, wenn sie gewußt hätte, daß ihr Entführer denn doch
nicht so romantisch war, um allen gesunden Menschenverstand zu verlieren, und
daß er eine recht klare Vorstellung von den Folgen hatte, die jemanden
erwarteten, der den Versuch unternahm, sich zur Eroberung einer Dame eines Hilfsmittels
zu bedienen, das nicht ohne guten Grund als Nötigung bezeichnet wurde. Die
Straße von Bath nach Wells war, besonders in dieser Jahreszeit, von
Schlaglöchern übersät. Mr. Tarleton meinte, sein romantisches Beginnen hätte
bessere Aussichten, zum Erfolg zu führen, wenn er seine Liebeserklärung
aufschob, bis sie Wells erreicht hatten.
Die
Kathedralenstadt war mehr als achtzehn Meilen von Bath entfernt und lag
jenseits der Mendip Hills. Mr. Tarleton hatte für seine zukünftige Frau ein
Zimmer im «Christopher» bestellt, für sich selbst ein anderes im «Schwan», denn
obwohl ihn sein Wunsch, in Heros alltägliches
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