Georgette Heyer
Verpflichtungen auch nur in allernächster Zeit
nachzukommen, nahm er die Einladung dankbar an. Außerdem war er überzeugt, daß
die Gräfinwitwe, die er nur zu gut kannte, es sich wahrscheinlich in den Kopf
setzen werde, ihn zu sich zu befehlen, um dafür Rechenschaft zu geben, daß er
ihrem Sohn bei seiner heimlichen Eheschließung Beistand geleistet hatte.
Diese
Überlegung behielt er aber wohlweislich für sich und verließ sich darauf,
dasein Freund Mr. Fakenham, wenn ihn der unvermeidliche Ruf erreichte, diese
beiden Ereignisse nicht in Zusammenhang bringen und ihn des Verrats
bezichtigen werde.
Lange
Erfahrung hinsichtlich Mr. Fakenhams Gedankenarbeit berechtigte ihn dazu,
anzunehmen, daß diese Kombination seine Geisteskräfte bei weitem übersteigen
würde.
7
Der Viscount hatte sich in der Annahme
nicht geirrt, daß der Brief, der seine Mutter von seiner Vermählung mit Hero
Wantage unterrichtete, zur Folge haben würde, sie stehenden Fußes nach London
zu bringen. Die Neuigkeit von Heros rätselhaftem Verschwinden war natürlich
schon einige Tage vor Sherrys Nachricht zu ihr gedrungen. Sie hatte sogar einen
Morgenbesuch von Mrs. Bagshot über sich ergehen lassen müssen, die alle
Wohltaten aufzählte, die sie ihrer undankbaren jungen Verwandten seit Jahren
erwiesen hatte. Dann vertraute sie der gelangweilten Gräfin noch an, daß sie
schon immer erwartet habe, das nichtswürdige Mädchen werde ihr eines Tages zur
Schande gereichen. Es fiel aber keiner
der beiden Damen ein, Heros Flucht mit dem jüngsten Besuch des Viscount auf
seinen Besitzungen in Zusammenhang zu bringen. So war es keineswegs
unnatürlich, daß es Miss Milborne auch nicht einfiel. Miss Milborne erklärte
rundwegs, daß sie es der armen kleinen Hero gewiß nicht verübeln könne und daß
sie nur hoffe, sie habe bei einem andern Mitglied ihrer Familie Schutz
gefunden, wo man sie mit mehr Rücksicht behandeln würde, als ihr im Hause der
Bagshots erwiesen worden war.
Als der
Brief des Viscount eintraf, hatte er eine erstaunliche Wirkung. Zunächst
außerstande, ihren Augen zu trauen, saß seine Mutter bewegungslos und starrte
ihn an, als wäre sie in Trance. Als sie die furchtbare Nachricht aber in ihrer
ganzen Bedeutung erfaßt hatte, stieß sie einen derartigen Schrei aus, daß sich
ihr Bruder, der eben damit beschäftigt war, eine Feder zurechtzuschneiden, mit
dem Federmesser in den Finger schnitt. «Lies das!» stieß die völlig vernichtete
Dame hervor und reichte ihm den Brief mit zitternder Hand. «Lies das!»
Würde man
nun sagen, Mr. Paulett sei über die Neuigkeit von der Vermählung seines Neffen
außer sich geraten, so hieße das seine Reaktion in höchstem Grade
untertreiben. Er hätte nie geglaubt, daß sich Sherry von jemand anderem als
Miss Milborne die Ehefesseln würde anlegen lassen, und war fast geneigt, den
Brief für einen Scherz zu halten, der darauf abzielte, ihn in Angst und
Schrecken zu versetzen. Als er dieses höchst tadelnswerte Schriftstück aber ein
zweites Mal durchlas, wurde auch dieser Hoffnung ein jähes Ende bereitet. Obwohl
sich Mr. Paulett nicht die Zeit nahm, über den Grund nachzudenken, fühlte er
doch, daß in der Art, wie Sherry über St. George, Hanover Square, schrieb,
zuviel Glaubwürdiges lag und weit mehr als nur Glaubwürdiges in der Nachricht
zu finden war, daß sich der Familienanwalt in wenigen Tagen mit ihm in
Verbindung setzen werde. Mr. Paulett sah das böse Ende vor sich und stöhnte
gepeinigt. Plötzlich drang ein Hoffnungsstrahl durch seine Verzweiflung. Er
sagte: «Hero Wantage? Sie ist doch noch minderjährig – da könnte man es noch
verhindern! Sie besaß die Zustimmung ihres Vormunds nicht!»
Die
Gräfinwitwe erhob sich wankend von ihrer Couch. «Gib Befehl, meinen Wagen
sofort vorfahren zu lassen!» sagte sie. «Der Himmel weiß, daß ich von Jane
Bagshot nicht einmal den Schimmer anständiger Gefühle erwarte, denn
wahrscheinlich hat sie selbst die ganze erbärmliche Geschichte ausgeheckt,
dieses berechnende Frauenzimmer. Aber ich werde nicht ruhen, bis ich meinen
Sohn von dieser schändlichen Liebschaft befreit habe; ich werde augenblicklich
zu ihr fahren, um ihr einen Besuch zu machen.»
Dieselbe
Post, die den Brief des Viscount an seine Mutter gebracht hatte, brachte auch
einen – wenngleich wesentlich kürzeren – für Mrs. Bagshot. Der Viscount hatte
ihn mit ungeheurem Vergnügen geschrieben, ja er hatte ihn, bevor er ihn
versiegelte, sogar Hero
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