Georgette Heyer
mußte sich nach ihren Launen richten. Man kann
sich über Ivos Arroganz nicht wundern; das einzige Wunder daran ist, daß sie
unbewußt ist – und nicht wie bei seiner Mutter in Eitelkeit wurzelt. Man lehrte
ihn nie, an etwas anderes als sein Vergnügen zu denken, aber er ist nicht
schlecht veranlagt, und absichtlich verletzt er die Empfindlichkeit anderer
nicht. Es ist alles nur Gedankenlosigkeit bei ihm. Wenn man ihn dazu bringt,
einzusehen, daß er sich schlecht benommen hat, tut es ihm sofort leid.»
«O Serena! Und ich war überzeugt, er
hätte dich ermorden können, weil du dir angemaßt hast, ihm offen zu sagen, daß
sein Verhalten nicht gentlemanlike war ...!»
«Nein, nein, da irrst du dich,
Fanny!» sagte Serena und lachte ein bißchen. «Er wollte nicht mich umbringen,
sondern sich! Na ja, vielleicht mich auch, aber mehr noch sich! Er wußte, daß
es wahr ist, was ich ihm sagte, und das hat seinen Stolz verletzt und ihm weh
getan.»
«Glaubst du
wirklich?» sagte Fanny zweifelnd.
«Ich weiß es sogar! Stelle dir ja
nicht vor, daß er sich sofort daran begab, die Sache gutzumachen, weil ich
durch sein Verhalten eine schlechte Meinung von ihm hatte! Er machte es, weil
er dadurch eine schlechte Meinung von sich bekam.. Er hat die Charakterfehler
seiner Mutter geerbt, aber im Grunde ist er viel mehr der Sohn seines Vaters
als ihr Sohn. Papa behauptete immer, mit einer derartigen Erziehung und all der
Speichelleckerei und dem Unsinn, der ihn umgab, als er noch viel zu jung war,
um die Torheit alles dessen zu durchschauen, spreche es sehr für seinen
Charakter, daß er als Erwachsener so wenig für Pomp und Würden übrig hat und
von allen Geschöpfen am wenigsten diejenigen leiden kann, die ihm schmeicheln.
Du wirst Ivo nie in Gesellschaft irgendeiner der odiosen Kletten sehen, die um
große Männer herumschwänzeln und unentwegt ihrer Eitelkeit schmeicheln. So
etwas verachtet er zutiefst. Mit seinem Bruder war es anders. Wenn du nur den
Captain Lord Talbot Barrasford gesehen hättest – in der ganzen Pracht seiner
Silbertressen als Husar! Der dachte sichtlich, welch eine Ehre es für sein
Regiment sei, ihn zu haben. Ich fragte mich immer, wie er wohl seine kostbare
Würde aufrechtzuerhalten vermochte, wenn er gezwungen war, in irgendeiner
spanischen Kate zu hausen. Oh, ich weiß, ich sollte jetzt nicht mehr so reden!
Er fiel, ich glaube, sehr tapfer, im Kampf, und wenn er auch nicht sehr beweint
wurde, so muß er doch wenigstens geachtet werden. Die Leute sagen, daß ihm
Augusta als Mädchen sehr ähnlich war. Aber sie hatte das Glück, Silchester zu
heiraten, der ein vernünftiger Mann ist, und als ich alt genug war, ihr
vorgestellt zu werden, da war sie schon so, wie du sie heute kennst – ebenso
gleichgültig wie Ivo dem gegenüber, was die Leute denken, und ganz ungeziert.
Ich will damit nicht sagen, sie wisse ihre Stellung nicht einzuschätzen, aber
sie nimmt das alles als selbstverständlich und denkt kaum daran.»
«O ja! Sie hat mich zuerst mit ihrer
seltsamen, unverblümten Art zu reden sehr erschreckt, aber ich habe gefunden,
daß sie immer durchaus freundlich ist, und habe nie daran gezweifelt, daß sie
Herz hat.»
Serena lächelte. «Keiner der
Barrasfords ist das, was man im allgemeinen als warmherzig bezeichnet. Wenn du
aber meinst – falls ich dich richtig verstehe –, daß Rotherham ein kaltes Gemüt
hat, dann glaube ich, muß ich eher sagen, daß es feurig ist! Er ist gewiß ein
harter Mann. Mitleid würde ich bei ihm zweifellos nicht suchen, aber ich habe
erfahren, daß er gütig ist.»
«Ich glaube, er muß es gewesen sein,
als ihr verlobt wart, aber ...»
«O nein, nicht, als er sich
einbildete, in mich verliebt zu sein! Weit davon entfernt!» unterbrach sie
Serena lachend. «Aber in der Ausübung seiner Pflicht als mein Kurator möchte
er viel gütiger sein, als ich ihm erlauben kann!»
«Aber – was meinst du wohl damit? Du
hattest doch selbst den Verdacht, daß das Arrangement auf sein Anstiften hin
getroffen wurde!»
«Nun ja, solange ich in einer
derartigen Wut war, dachte ich das wirklich», gab Serena zu. «Nur sah ich
natürlich bald ein, daß es so nicht gewesen sein konnte. Ich fürchte, Papa hat
sich vorgestellt, das sei ein kluger Schachzug. Unsere seinerzeitige Verbindung
war so sehr sein Werk, daß er es nicht ertragen konnte, den Gedanken daran endgültig
aufzugeben.»
«Ich weiß, es war eine sehr
glänzende Verbindung, aber hat er sich denn um so etwas
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