Georgette Heyer
einen abgesonderten Platz zu reservieren, falls du die oder jene Vorlesung in den
Oberen Sälen besuchen wolltest; dann kam Mr. Guynette, dem einfiel, daß du
vielleicht nicht die besten Ställe für deine Kutschpferde kennst; dann war der
Fall, daß ...»
«Serena! Oh, sei still!» rief Fanny
blutrot und bestürzt. «Natürlich waren sie beide sehr freundlich, aber ...»
«Außerordentlich freundlich! Und soo
aufmerksam! Als Mr. Guynette am Dienstag aus der Trinkhalle stürzte, um einen
Stuhl für dich zu holen, weil gerade nur drei Tropfen Regen gefallen waren,
dachte ich fast, eine Anstandsdame brauchst du, aber nicht ich!»
«Oh, ich weiß, du machst nur Spaß,
aber das solltest du wirklich nicht!» sagte Fanny tief betrübt. «Es stände mir
so wenig an – und ihnen auch nicht! Und es ist alles Unsinn! Sie fühlen sich
verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um es jedem Gast in Bath
angenehm zu machen!» Ein gräßlicher Gedanke kam ihr; sie heftete ihre
unschuldigen blauen Augen auf Serena und sagte atemlos: «Serena! Ich mache doch
nicht etwa – ich mache doch nicht etwa den Eindruck, ich sei – leichtlebig?»
«Aber nein, nein!» sagte Serena
beruhigend. «Nur rührend!» Sie merkte, daß Fanny ernstlich aus der Fassung
geraten war, und fügte hinzu: «Gänschen! Ich habe dich doch nur aufgezogen!»
«Wenn ich denken müßte, daß ich den
Eindruck erwecke, irgendeinen Herren zu ermutigen, mir unziemliche Aufmerksamkeiten
zu erweisen, wäre das einfach entsetzlich und würde mir alles Vergnügen daran
vergällen, daß ich in Bath bin!»
Serena beruhigte sie und dachte sich
– nicht zum erstenmal –, daß es selten klug war, ihr gegenüber einen neckenden
Ton anzuschlagen. Sie war ernst veranlagt und geneigt, über Spaß eher entsetzt
als amüsiert zu sein. Es gab keinen Zweifel, daß ihre jugendliche
Hilflosigkeit, gepaart mit ätherischer Schönheit, in zwei Herren mittleren
Alters Ritterlichkeit geweckt hatte, aber Serena hielt sich zurück, ihr das zu
sagen. Nicht der strengste Kritiker hätte sie flatterhaft nennen können, und
nicht um die Welt hätte Serena ihr die Freude an dem Aufenthalt in Bath
zerstören wollen.
Diese Freude war sehr echt. Die
Auslagen betrachten, dem Orchester in der Trinkhalle lauschen, an schönen Tagen
in den Sydney-Gärten spazierengehen, jedes neue Gesicht bemerken, über die
Zusammenhänge und Identität der verschiedenen Stammgäste in der Trinkhalle
spekulieren schien genau das zu sein, was ihr behagte. Sie war überzeugt, daß
der Mann, der immer eine rosa Blume im Knopfloch trug, der Bruder und nicht der
Gatte der dicken Frau mit der gelben Perükke war. Sie sahen einander sehr
ähnlich – meinte Serena nicht auch? Und hatte Serena das Häubchen mit den
grünen Federn bemerkt, das diese komische Frau trug, die sich so altmodisch
anzog? Sie hatte es erst vorige Woche in der Auslage der Modistin in der Milsom
Street gesehen, und mit einem unglaublichen Preis ausgezeichnet! Serena gab
immer zufriedenstellende Antworten, aber hätte sie die Wahrheit gesagt, dann
hätte sie eingestehen müssen, daß ihr die dicke Frau mit der gelben Perücke nie
aufgefallen war, und die komisch aussehende Frau auch nicht.
Tatsache war, daß das müßige Leben
in Bath Serena ebensowenig behagte wie das Leben im Dower House. In ihrem
Schmerz um den Verlust des Menschen, der ihr mehr Gefährte als Vater gewesen
war, mischte sich eine Ruhelosigkeit, eine Sehnsucht nach irgend etwas, von dem
sie kaum wußte, was es eigentlich war; die einzige Erleichterung für diese
Stimmung waren die Galoppritte in die Umgebung von Bath. Da die Straßen der
Stadt so steil waren, wurden Kutschen nicht viel benützt, und Sesselträger
teilten sich in die Aufgabe, die Damen zu Bällen und Konzerten zu bringen. Fanny
hatte ernstlich daran gedacht, ihren Landauer heimzuschicken, und konnte den
Drang Serenas nicht verstehen, der sie zwang, Morgen für Morgen aus Bath in die
Hügel der Umgebung zu flüchten, nur in Begleitung ihres ihr ergebenen, aber
kritischen Stallburschen Fobbing. Sie wußte, daß Serena unbehaglich viel
Energie besaß, erkannte aber nicht, daß ihre ausgedehnteren Ausflüge
regelmäßig mit der Ankunft eines der pünktlichen Briefe Theresa Eagleshams
zusammenhingen; und hatte auch nie den leisesten Verdacht, daß diese Briefe,
die für sie ermüdend voll langweiliger politischer Nachrichten waren, Serena
das Gefühl gaben, daß sie der Welt verlorengegangen sei. Für Fanny
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