Georgette Heyer
Verlust sehr, sehr lange spüren, aber du mußt nicht glauben,
daß er mich niedergedrückt hat oder ich niedergeschlagen bin. Ich komme sehr
gut zurecht.»
«Ich kenne deinen unbezähmbaren
Mut!»
Ihr erster Impuls war, ihm Schweigen
zu gebieten. Sie unterdrückte ihn, um Hector nicht zu verletzen, und ging mit
niedergeschlagenen Augen neben ihm her, während er von ihrem Vater sprach.
Zweifellos vermochte er das Ausmaß ihres Verlustes wirklich zu ermessen und
ging auf ihre Gefühle aufrichtigst ein. Er sprach gut und mit großer
Zärtlichkeit – aber es wäre ihr lieber gewesen, er hätte geschwiegen.
Er schien dies zu erkennen, denn er
unterbrach sich und sagte: «Es ist schmerzlich für dich, wenn man davon
spricht. Ich will nichts weiter sagen; du weißt ja, was ich fühle – alles, was
ich nicht ausdrükken kann ...!»
«Ja, ich – du bist sehr gut, sehr
lieb! Ich bin so froh, daß ich gerade heute vormittag zu Duffield ging! Bleibst
du lange in Bath?»
«Ich besuche meine Mutter hier und
bin erst gestern angekommen. Ich habe keinerlei Verpflichtungen und hatte vor,
einige Wochen bei ihr zu bleiben. Sie lebt seit dem Tod meines Vaters hier. Das
Klima verträgt sie, und die Bäder tun ihr gut. Leider ist sie körperlich sehr
behindert und geht nur selten aus, sonst – aber lebst du auch hier, Serena?»
«Nur für einige Monate, mit meiner
Stiefmutter.»
«Ach! Ich wußte, daß Lord Spenborough
wieder geheiratet hatte, und fürchtete, daß du darüber sehr unglücklich warst.»
«Nein, wirklich nicht!»
«Lebst du bei Lady Spenborough?
Magst du sie? Ist sie nett zu dir?» fragte er besorgt.
«Sehr!»
«Da bin ich aber erleichtert, daß du
das sagst. Ich hatte gefürchtet, daß dem nicht so sei. Es dürfte für dich nicht
angenehm gewesen sein, daß dir in deinem Alter noch eine Mama aufgedrängt
wurde. Man hört zu oft von Stiefmüttern, die die Kinder aus einer früheren Ehe
tyrannisieren! Aber wenn sie wirklich mütterlich zu dir ist, kann ich
mir vorstellen, daß du jetzt doch ganz froh über jene Heirat bist. Ihr Schutz
muß dir ein Trost sein.»
Ihre Augen fingen zu tanzen an, aber
sie sagte ernsthaft: «Sehr wahr! Ich freue mich schon darauf, dich ihr
vorzustellen. Ich hoffe, du findest sie nicht zu fürchterlich!»
«Erlaubst du wirklich, daß ich dich
besuche?» fragte er eifrig. «Wird sie nichts dagegen haben?»
«Ich bin überzeugt, sie wird dich
höchst wohlwollend empfangen!»
«In dem Wort allein steckt etwas
sehr Dämpfendes!» sagte er lächelnd. «Das Wort < Gräfinwitwe > allein
beschwört schon ein Bild herauf, das den kühnsten Mann in Schrecken versetzt!
Sollte sie einen Turban tragen, werde ich von Kopf bis Fuß zittern, denn das
erinnert mich an eine Großtante, vor der ich als kleiner Junge in ständiger
Angst lebte. Wann darf ich ihr meine Aufwartung machen? Wo lebst du?»
«In Laura Place.» Sie schaute sich
plötzlich um und brach in Lachen aus. «Guter Gott, weißt du, wie weit wir
gewandert sind? Wenn mich meine Augen nicht trügen, sind wir fast am Ende der
Great Pulteney Street angelangt! Wenn ich dich in der richtigen Richtung
geführt habe, muß das rein instinktiv geschehen sein! Ich kann mich nicht einmal
erinnern, daß wir über die Brücke gingen.»
«Ich auch nicht», gab er zu, drehte
um und ging wieder neben ihr her den Weg zurück. «Ich muß wie in einem Traum
dahingegangen sein. Ich wollte, wir wären am anderen Ende der Stadt, damit ich
mich nicht so schnell von dir trennen müßte. Ich fürchte nur, wenn du mich verläßt,
werde ich aufwachen.»
«Major Kirkby, ich glaube fast, Sie
sind zu einem vollendeten Schäker geworden!»
«Ich? Ah, nun ziehst du mich auf.
Ich habe, glaube ich, noch nie im Leben geschäkert!»
«Heiliger Himmel, willst du mir
erzählen, daß es nicht eine einzige schöne Spanierin gibt, die sich über deine
Abreise die Augen aus dem Kopf weinte?»
Er schüttelte den Kopf. «Nicht eine,
auf mein Wort!»
«Ich hatte keine Ahnung, daß das
Leben in Spanien so langweilig ist!»
«Ich bin keiner begegnet, die ich für
schön hielt», sagte er einfach.
Sie gingen weiter und waren bald
wieder bei Laura Place. Vor ihrer Haustür trennte er sich nur zögernd von ihr,
hielt ihre Hand fest und sagte: «Sag mir, wann ich dich besuchen darf!»
«Wann immer du wünschst», antwortete
sie und lächelte ihn an.
Sein Händedruck wurde fester; er
beugte sich nieder und küßte ihre Hand, ließ sie endlich los und eilte fort,
als
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