Georgette Heyer
das Rotherham House (mehrmals unterstrichen)
erstürmen zu sehen, hätte sie ihm ins Gesicht gelacht. Aber es war Tatsache;
und wenn Serena gesehen hätte, wie sie ihr Nichts von Tochter allen
heiratsfähigen Junggesellen buchstäblich an den Hals warf, abgesehen davon, daß
sie sich selbst jeder anwesenden bekannteren Persönlichkeit aufdrängte, hätte
sie endlich ihre eigene Torheit, ihren Eigensinn und ihre Kurzsichtigkeit
bereut.
«Ei, ei, ei», bemerkte Serena dazu,
die diese leidenschaftliche Epistel sehr genoß. «Was wohl Mrs. Floore dazu
sagen wird? Ich jedenfalls kann die Strategie dieses Laleham-Frauenzimmers nur
bewundern. Die Rotherham-Festung erstürmen, bedeutet tatsächlich allerhand! Wie
böse wohl Lady Silchester gewesen sein muß! Ich wollte, ich wäre dabei
gewesen!»
Mrs. Floore, die sie am nächsten
Vormittag in der Trinkhalle trafen, hegte dieselben Gefühle. «Zu denken, daß
meine Enkelin bei einer solchen Gesellschaft war – denn ich habe alle Berichte
darüber gelesen, meine Liebe, und es muß ja großartig gewesen sein! Himmel,
Sukey wird stolz wie ein Schneekönig sein, und ich kann es ihr wirklich nicht
verdenken! Sagen Sie, was Sie wollen, sie erreicht doch immer, was sie sich in
den Kopf setzt, meine Sukey! Und Emma ist dort eingeladen und tanzt mit Lords
und Notabeln und was weiß ich wem! Verlassen Sie sich darauf, Sukey hat schon
ihr Auge auf einen Lord für ihre Emma geworfen! Na, und wenn er ein netter,
hübscher Kerl ist, dann hoffe ich, daß es ihr gelingt, ihn einzufangen!»
«Ich bin überzeugt davon, Ma'am»,
sagte Serena lachend.
«Ja, aber ich traue ihr nicht»,
sagte Mrs. Floore. «Sie ist eine harte, ehrgeizige Person, meine Liebe. Merken
Sie sich, was ich Ihnen sage: Und wenn es ein Herzog ist, der mit einem Fuß im
Grab steht und schielt und keine Zähne mehr hat, und er hält um das Kind an –
Sukey würde sie dazu bringen, ihn zu erhören!»
«O nein!» protestierte Serena.
«Stimmt, nein», sagte Mrs. Floore.
«Das könnte sie wirklich nicht – weil nämlich auch ich dann etwas dazu zu sagen
hätte!»
«Und sehr mit Recht! Aber ich
glaube, so einen Herzog gibt es erst gar nicht, Ma'am.»
«Um so besser für ihn», sagte Mrs.
Floore vielsagend.
Serena verließ sie, als sie noch
rachsüchtig vor sich hinbrütete, und ging in die Duffield-Bücherei in der
Milsom Street, um ein Buch umzutauschen. Als sie die Bücherei wieder verließ,
stieß sie auf der Schwelle fast mit einem großen Mann zusammen, der sofort
zurücktrat und sagte: «Ich bitte sehr um Entschuldigung!»
Als sie schnell zu ihm aufblickte,
hielt er den Atem an. Sie stand da und starrte fast ungläubig in ein Gesicht,
das sie zu vergessen gemeint hatte.
«Serena!» sagte er mit schwankender
Stimme. «Serena!»
Sechs und mehr Jahre glitten von ihr
ab; sie streckte die Hand aus und sagte ebenso unsicher wie er: «Oh, kann das
möglich sein? Hector!»
8
Sie standen selbstvergessen da, er
hielt noch immer ihre Hand, war sehr blaß, sie rot erglühend, ihre braunen
Augen erstaunt in seine ruhigen blauen versenkt; keiner von beiden war
imstande, ein Wort hervorzubringen, bis ein gereiztes: «Erlauben Sie, mein
Herr! Erlauben Sie doch!» sie in die Gegenwart zurückriß. Major Kirkby ließ
Serenas Hand los, die er so fest gehalten hatte, trat beiseite und stammelte
eine verwirrte Entschuldigung zu dem ungeduldigen Bürger, dessen Weg er
verstellt hatte.
Wie aus einer Verzauberung
erwachend, sagte Serena: «Nach all diesen Jahren! Du hast dich nicht im
geringsten verändert! Ja, doch: ich glaube, diese winzigen Linien in den
Augenwinkeln waren früher nicht da, und deine Wangen waren nicht so schmal –
aber ich schwöre, du schaust noch genauso gut aus wie eh und je, mein lieber
Hector!»
Er lächelte über ihren spöttischen
Ton, war aber vollkommen ernst, als er leise antwortete: «Und du bist noch
schöner, als ich dich in Erinnerung hatte! Serena, Serena ...! Verzeih! Ich weiß
kaum, was ich sage oder wo ich bin!»
Sie lachte etwas unsicher und
bemühte sich um einen banaleren Ton. «Sie sind in Milsom Street, Sir, und
verstellen den Weg in die ganz ausgezeichnete Bücherei von Duffield! Und der
Anblick eines Herrn von militärischem Gepräge, der wie versteinert mit seiner
Mütze in der Hand dasteht, erregt ziemlich viel Aufmerksamkeit, kann ich dir
nur sagen! Sollen wir uns nicht von dieser allzu öffentlichen Lokalität
entfernen?»
Er blickte erschrocken um sich,
wurde rot, lachte und
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