Georgette Heyer
händeringend.
«Nicht,
wenn sie ihre hysterischen Schreikrämpfe hatte», sagte Mr. Hethersett mit
bemerkenswertem Einfühlungsvermögen. «Überdies kann ich ihm keinen Vorwurf
machen.»
«Ich mache
nur mir selbst Vorwürfe. Hätte ich Cardross nur meinen Verdacht mitgeteilt! Er
wäre vielleicht imstande gewesen, sie noch einzuholen, aber jetzt...! Ich war
so sicher, Mr. Allandale würde niemals ... ich dachte es würde mir gelingen,
diese Sache in Ordnung zu bringen ... und dabei habe ich nur dazu beigetragen,
Lettys Zukunft völlig zu ruinieren!»
«Sehe das
durchaus nicht ein», erwiderte er. «Wenn Cardross will, hat er genügend Zeit,
sie einzuholen. Sie reisen ja nur zweispännig. Würde auch keinen großen
Unterschied machen, wenn sie vierspännig führen. Cardross braucht nur sein
Kabriolett und vier seiner Rassepferde zu nehmen, und ich würde über die ganze
Distanz auf ihn wetten, und wären sie auch doppelt so lange vor ihm gestartet.
Haben Sie Giles je einen Viererzug kutschieren gesehen? Nun, er ist der beste
Fahrer Englands,
darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Weiß sogar, wie man uneingefahrene Pferde
zusammenhält.»
«Ach,
glauben Sie, er könnte sie noch immer einholen?» fragte sie begierig.
«Gott ja
... wir müssen nichts andres tun, als ... nun, was ist los?»
Sie hatte
ein besorgtes «Oh!» ausgestoßen, dann sagte sie traurig: «Cardross ist nicht zu
Hause. Er wollte auswärts dinieren ... ich weiß aber nicht einmal, wo und mit
wem.»
«Kein
Grund, sich deshalb aufzuregen», erwiderte Mr. Hethersett ruhig. «Farley wird
es bestimmt wissen.»
Diese
Versicherung richtete sie wieder ein wenig auf, und als Mr. Shotwick
zurückkehrte und meldete, daß eine Droschke vorgefahren sei, erhob sie sich
sogleich und bat Mr. Hethersett, sich zu beeilen.
Auf der
Straße stand tatsächlich eine Droschke. Das große, altersschwache Vehikel,
dessen Coupé wie betrunken zwischen zwei altmodischen hohen Lakaiensitzen
hing, bewies durch seine matt angelaufene Silberarbeit und ein fast völlig
unkenntliches Wappen, daß es einen tiefen Sturz in der sozialen Stufenleiter
seit den Tagen getan hatte, da es mit einem Kutscher in Puderperücke auf dem
Bock und zwei hinten stehenden Lakaien als Stadtwagen eines Edelmannes diente.
Es war keineswegs ein Wagen, in welchem eine Standesperson jetzt freiwillig
fahren würde, dennoch mußten Nell und Mr. Hethersett, als sie aus dem Hause
traten, feststellen, daß ihre zeitweilige Besitznahme nicht unbestritten
blieb. Zwei Gentlemen befanden sich mit dem Kutscher in einem erregten Disput
über ihr Recht, die Droschke zu beanspruchen, und der treffliche Mann hatte es
augenscheinlich für notwendig gefunden, vom Kutschbock herabzusteigen, um den
Wagen vor ihrem Eindringen zu schützen.
Mr.
Hethersett versuchte nach einem raschen Blick, diese Szene vor Nells Blicken zu
verbergen, und sagte kurz: «Besser, Sie treten wieder ins Haus zurück, bis ich
sie losgeworden bin.»
«Aber das
ist doch Dysart!» sagte Nell.
«Ja, das
weiß ich. Aber wir haben keine Zeit, hier herumzustehen und mit ihm zu
sprechen», sagte Mr. Hethersett.
«Nein,
natürlich nicht, aber er will unsre Droschke für sich haben, und das darf er
nicht», sagte Nell und versuchte, ihn aus dem Weg zu schieben.
«Um Himmels
willen, Cousine, gehen Sie ins Haus zurück», bat Mr. Hethersett. «Er ist nicht
allein!»
«Nein. Aber
der andre ist bloß Mr. Fancot, und ich glaube», sagte Nell verständnisinnig,
«daß beide ein wenig getrunken haben. Dysart!»
Der
Viscount drehte sich um, als er seinen Namen hörte. Das Licht der in der Nähe
befindlichen Straßenlampe ermöglichte es ihm, seine Schwester deutlich zu
erkennen, doch er traute seinen eigenen Augen nicht mehr so ganz, wenn er –
nach seiner eigenen Meinung – nicht mehr richtig im Gleichgewicht war. Er bat
daher seinen Freund um Beistand. «Corny, das ist doch unmöglich meine
Schwester Cardross, was?»
«Nein»,
sagte Mr. Fancot entgegenkommend.
«Ach, Dy,
was bist du für ein schreckliches Geschöpf», rief Nell, während sie die Stufen
hinablief. «Du kannst diesen Wagen nicht benützen, denn er wurde für mich
geholt, und ich brauche ihn dringend. Ich bin in größter Eile, also bitte
streite dich nicht mit diesem armen Mann herum und geh ruhig deines Weges.»
«Bei Gott,
es ist meine Schwester Cardross», rief der Viscount wie vom Donner
gerührt.
«Ja»,
pflichtete ihm Mr. Fancot jetzt bei und lächelte Nell vage, aber
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