Georgette Heyer
verwünscht, Cousine –, nein, nein, das ist ausgeschlossen. Ich meine, es
wäre weder anständig noch korrekt, und obwohl ich nicht gerade behaupten kann,
ich hätte ihn besonders ins Herz geschlossen, so hat er doch nichts von einem
Lumpenkerl an sich.»
«Nein,
wahrhaftig nicht. Und deshalb hege ich die größte Hoffnung, sie noch hier
vorzufinden», sagte sie. «Bitte, wollen Sie mich also zu seinem Haus bringen?»
«Ja. Aber
wo ist eigentlich Cardross?» fragte er. «Er kann die Stadt nicht wieder
verlassen haben, denn ich traf ihn noch heute nachmittag bei White. Es ist
seine Sache, Letty zu suchen, nicht Ihre!»
«Er ... er
diniert heute abend auswärts, und außerdem war Sir John Somerby bei ihm.»
«Das heißt
also», sagte Mr. Hethersett in strengem Ton, «daß Sie ihm nichts erzählt
haben.»
«Nein»,
gestand sie. «Ich ... ich habe ihm nichts gesagt.»
«Nun, Sie
hätten es unbedingt tun müssen. Ist mir gar nicht recht, Cousine, Sie zu
verletzen, aber Sie haben kein Recht, Cardross wegen dieses jungen Dings
anzuschwindeln. Verwünscht, sie ist doch sein Mündel! Glaube Ihnen, daß Sie sie
gern haben, aber es ist ausgeschlossen, Giles in der heutigen bösen Situation
täuschen zu wollen.»
«Nein»,
pflichtete sie ihm bei. «Ich wollte es wahrhaftig nicht tun, Felix. Es ist nur,
daß er ... er ist gerade heute sehr ärgerlich. Es ereignete sich etwas, was
ihn sehr erzürnte, und ich möchte speziell heute nicht gezwungen sein, ihm
diese böse Nachricht zu überbringen, wenn ... wenn er auf Letty vielleicht
furchtbar böse wäre.»
«Täte ihr
nur gut», bemerkte Mr. Hethersett völlig gefühllos. «Wollen Sie wissen, was
ich mir denke? 's ist meine feste Überzeugung, je früher Sie dieses
widerspenstige Mädel loswerden, desto besser ist es. Völlig unzuverlässig und
launenhaft, wie sie schon einmal ist, weiß man nie, wie man sie nehmen soll,
oder welchen Streich sie sich als nächstes ausdenken wird.» Er sah Nell
flüchtig an, es war aber inzwischen zu dunkel geworden, um ihr Gesicht deutlich
wahrnehmen zu können. Er vermochte aber doch gewisse Schlüsse zu ziehen, die so
ziemlich ins Schwarze trafen. Er fügte leichthin hinzu: «Wäre nicht überrascht,
wenn es einer ihrer Streiche war, der Giles so aufgebracht hat.»
Hierauf
erwiderte Nell nichts. Ein Lampenanzünder, der gemeinsam mit einem Jungen,
welcher ihm auf dem Fuße folgte, eine Leiter trug, kam die Straße entlang.
Nell, die es müde wurde, vor Mr. Hethersetts Haus zu stehen, machte ihn darauf
aufmerksam und sagte: «Wird er es nicht sehr merkwürdig finden, uns hier stehen
zu sehen?»
«Ja. Aber
wir werden nicht hier stehenbleiben», erwiderte Mr. Hethersett. «Es sieht zwar
nicht so aus, als ob Allandale zu Hause wäre, aber wir können ja einmal
anfragen.»
«Wollen Sie
damit sagen, daß er hier neben Ihnen wohnt?» fragte Nell.
«Ja.
Besteht kein Grund, weshalb er es nicht sollte», meinte Mr. Hethersett,
erstaunt über ihren indignierten Ton. «Ich meine, er stört mich nicht. Sehe ihn
kaum.»
«Und Sie
ließen mich die ganze Zeit hier draußen stehen? Das ist wirklich zu arg!» rief
Nell, eilte die Stufen empor und griff nach dem schweren Messingklopfer.
«Dachte
über einen Ort nach, an den ich Sie bringen könnte, während ich die Angelegenheit
hier erledige. Schwierigkeit ist, daß Sie hier nirgends hingehen können. Aber
hören Sie, Cousine, Sie können nicht einfach nach Allandale fragen. Überlassen
Sie das bitte mir.»
Sie war
damit einverstanden. Doch als die Tür geöffnet wurde und Mr. Hethersett den
Hausherrn fragte, ob Mr. Allandale zu Hause sei, und erfahren mußte, daß dies
nicht der Fall war, wollte er sich einfach wieder zurückziehen, ohne seine
Nachforschungen fortzusetzen. Nell fühlte sich daher verpflichtet, persönlich
einzugreifen. Ohne auf den entsetzt gemurmelten Protest Mr. Hethersetts zu
achten, fragte sie tapfer, ob Mr. Allandale allein oder in Begleitung einer
jungen Dame ausgegangen sei.
«Erkundigen
sich Ma'am nach Mr. Allandales Schwester?» fragte der Mann vorsichtig.
«Allerdings»,
behauptete Nell unverzüglich.
«Aha!»
machte der Hausherr und streichelte nachdenklich sein Kinn. «Das sagte er, das
will ich nicht leugnen, aber es ist nicht dasselbe, was sie sagte. Und
das bringt mich sozusagen in eine Klemme, denn wenn Sie seine Schwester zu
sprechen wünschen, könnte ich nicht sagen, ob es sich um die junge Dame
handelt, die heute hier war. Ich kann's auch nicht
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