Georgette Heyer
widerstrebte ihr dies ganz gewiß aufs
äußerste, und sie hatte sehr ähnliche Gefühle gehabt, als sollte ihr ein Zahn
gezogen werden. Ihre ganze Hoffnung stützte sich jetzt auf Dysart, den sie seit
dem Abend des Maskenballs nicht mehr gesehen hatte und der, was sehr
wahrscheinlich war, ihre ganzen Sorgen inzwischen vergessen hatte. Sie und
.Letty wollten am Abend in die Oper fahren, wo es außerordentlich
unwahrscheinlich war, ihn zu treffen. Sie entschloß sich daher, ihm ein Billett
zu schreiben, in welchem sie ihm mitteilte, wie dringlich ihre Angelegenheit
geworden sei, und ihn bat, sie am Grosvenor Square zu besuchen.
Kaum hatte
sie ihren Bedienten mit dem Billett abgeschickt, als Letty eintrat. Im
allgemeinen kehrte sie, wenn sie Einkäufe machte, mit Paketen beladen zurück
und war begierig, ihrer Schwägerin eine Anzahl kostspieliger Nichtigkeiten zu
zeigen, die ihr besonders ins Auge gefallen waren. Doch diesmal hatte sie
nichts zu zeigen als ein sehr betrübtes Gesicht. Sie erklärte, einen
langweiligen Vormittag verbracht zu haben, doch als Nell sie fragte, ob sie
den Musselin, den sie sich so sehr gewünscht, nicht habe finden können,
erwiderte sie: «O ja, Martha hat ihn. Ich traf meine Cousinen und wir gingen
ins Grafton House, mitten unter diese merkwürdigen Leute. Selina wollte
durchaus, daß ich mitkomme, denn sie sagte, man könne dort erstaunliche
Gelegenheitskäufe machen. Ich muß zugeben, daß sie eine große Auswahl in
Musselin haben. Ich wählte einen karierten, glaube aber, daß er mir, wenn er
verarbeitet
ist, gar nicht mehr so gut gefallen wird. Außerdem kostet der Meter sieben
Shilling, und das ist doch kein so besonderer Gelegenheitskauf, findest du
nicht?»
«Nein. Aber
karierter Musselin ist immer teurer als einfarbiger. Ich hoffe, die Misses
Thorne sind wohlauf?» fragte Nell höflich.
«Ja ... das
heißt, ich habe sie nicht gefragt. Selina ist ziemlich dick geworden, und Fanny
ist mit meiner Tante zu Mrs. Mee gegangen, um sich porträtieren zu lassen. Sie
sind überzeugt, daß Humby sich erklären wird, und Selina sagt, Onkel und Tante
befinden sich in einem Freudentaumel, obwohl ich mir nicht vorstellen kann
weshalb, denn er sieht nicht gerade blendend aus, findest du nicht? Und
außerdem hat er einen recht merkwürdigen Sinn für Humor.»
«Darüber
weiß ich nichts. Ich glaube aber, er ist sehr angesehen», erwiderte Nell und
fragte sich, ob die bevorstehende Verlobung ihrer Cousine für die düsteren
Schatten auf Lettys lebhaftem kleinem Gesichtchen verantwortlich waren. «Ich
entnehme dem allen, daß Mrs. Thistleton deine Cousine begleitete?»
«Ja, und
ich kann dir verraten, daß ich sie sehr bald zum Teufel wünschte», sagte Letty
mit einem angeekelten Zug um den Mund. «Sie erwartet ein Baby und ist darauf
erpicht, es ganz London zu erzählen. Man könnte meinen, daß sich vor ihr noch
niemand in dieser Situation befunden hat, denn sie spricht überhaupt von nichts
anderem. Zum Überfluß liefen wir noch Lady Eastwell in die Arme! Und die
erwartet ihre Niederkunft im nächsten Monat. Du hättest nur ihr albernes
Lachen, ihre Seufzer und die ganze Ziererei sehen sollen ... einfach unerträglich!
Sir Godfrey ist aux anges über das petit paquet, das sie ihm zu
präsentieren beabsichtigt! Petit paquet!! Un très grand paquet möchte
ich meinen, denn ich sah noch niemanden mit einem derartigen Umfang. Ich war
wütend, meine Zeit in ihrer Gesellschaft vergeuden zu müssen und mir obendrein
noch so ein geschmackloses Gequatsche anzuhören. Dabei war Maria früher das
amüsanteste Geschöpf. Ich hoffe nur, Nell, daß du dich nicht auch in eine so
lästig öde Person verwandeln wirst, wenn du Nachkommenschaft erwartest.»
Tiefe Röte
überflutete Nells Wangen. «Das hoffe ich auch», sagte sie mit erstickter
Stimme, denn Lettys sorglose Worte hatten sie an ihrer empfindlichsten Stelle
getroffen. Es waren schon einige Monate vergangen, seitdem Lady Pevensey sich
von ihrem gelähmten Gatten losgerissen hatte, um ihre Tochter zu besuchen und
die Besorgnisse zu zerstreuen, die Nell quälten. «Mach dir deswegen keine
Sorgen, mein Liebling», hatte sie gesagt und mit schlichtem Stolz hinzugefügt:
«Du bist eben genauso veranlagt wie ich. Du weißt doch, daß ich drei Jahre
verheiratet war, ehe Dysart geboren wurde.»
Nell hatte
sich damit getröstet. Obwohl die Aussicht betrüblich war, drei Jahre warten zu
müssen, bevor sie Cardross den ersehnten Erben schenkte, war es
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