Georgette Heyer
eine Schwester zu besitzen, die für jede seiner
Torheiten, für jede Verschwendung und für jeden seiner tollen
Streiche, wie es diese letzte Heldentat war, eine Entschuldigung findet. Ich
habe bemerkt – und zwar schon seit geraumer Zeit –, daß er in deinem
Herzen einen Platz einnimmt, den sonst niemand einzunehmen vermag. Aber nimm
dich in acht! Ermutige ihn nur zu glauben, er könne sich in jeder verzweifelten
Lage an dich wenden! Lächle zu jedem Unfug, der eines
Studenten unwürdig wäre! Du wirst aber nicht mehr lachen, wenn ihn sein
Übermut, den du jetzt so nachsichtig beurteilst, so weit treibt, daß er die
Grenzen überschreitet, und das werden selbst seine intimsten Freunde nicht mehr
entschuldigen!»
Sie schrak
vor der Härte seiner Stimme zurück, erkannte jedoch alsbald die Eifersucht,
die aus jedem seiner Worte sprach. Sie hörte es mit heftigem
Herzklopfen, und diese Erkenntnis nahm seinen Worten jeden verletzenden
Stachel. Anstatt nun zu Dysarts Verteidigung zu eilen, sagte sie nur: «In
Wirklichkeit habe ich über diesen Streich nicht mehr gelacht. Es war sehr
schlecht von ihm ... und völlig ungehörig. Aber, Cardross, es ist sehr
ungerecht von dir, zu behaupten, seine Wildheit werde ihn dazu verleiten, etwas
wirklich Schlechtes anzustellen. Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden, aber das
geht entschieden zu weit.»
«Nein, ich
habe durchaus keine Abneigung gegen ihn», erklärte er in gemäßigtem Ton. «Im
Gegenteil. Ich habe ihn so gern, daß ich wünschte, ihm einen wirklichen Dienst
erweisen zu können. Du hältst mich für ungerecht, du darfst mir aber glauben,
ich weiß, was ich sage, wenn ich dir erkläre, daß ihn sein derzeitiger
Lebenswandel zugrunde richtet.»
Unverzüglich
aufs äußerste beunruhigt, rief sie: «Oh, bitte, bitte, stecke ihn nicht in die
Armee!»
«Ich habe
nicht die Macht, ihn in die Armee zu stecken. Ich gebe zu, ihm angeboten zu
haben, ihm ein Offizierspatent zu kaufen. Ich zweifle nicht einen Augenblick,
daß es nichts gibt, womit ich ihm mehr Freude bereiten könnte oder was ihm
nützlicher wäre. Sollte deines Vaters Abneigung gegen dieses Projekt das
einzige Hindernis für ihn sein, meinen Vorschlag zu akzeptieren, mache ich
mich erbötig, in dieser Hinsicht den Weg zu ebnen.»
«Nein, das
ist es nicht. Ich sollte so etwas zwar nicht sagen, aber ich fürchte, Dy macht
sich nicht viel aus dem, was der arme Papa wünscht. Aber Mama hat sich von ihm
schwören lassen, es nicht zu tun, und wenn du Dy auch für verworfen hältst, so
würde er sich's doch niemals einfallen lassen, einen Schwur zu brechen.»
«Steht die
Sache so», sagte er, «dann, meine Liebe, kann ich dir nur empfehlen, deinen
ganzen Einfluß dafür aufzuwenden, deine Mutter zu überreden, ihn von seinem
Schwur zu entbinden, den sie ihm – wie ich keine Bedenken trage, dir zu sagen –
nie hätte erpressen dürfen.»
«Das könnte
ich niemals. Oh, sie würde bei dem bloßen Gedanken ohnmächtig, daß er allen
Kriegsgefahren ausgesetzt werden könnte.» Sie zögerte, dann sagte sie etwas
verlegen: «Mama hatte so viele Prüfungen zu ertragen... du weißt ja ... der
arme Papa ...»
«Ja, ich
weiß», erwiderte er. «Aus eben diesem Grund bin ich überzeugt, müßte sie, da
ihr die Wahrheit bekannt ist, die Kriegsgefahren für weit weniger gefährlich
halten als die der Großstadt. Ich glaube, sie ahnt nicht,
da sie jetzt gezwungen ist, so weit von London entfernt zu leben, wie
getreulich Dysart einem Beispiel folgt, das zu fürchten sie allen Grund hat.»
Nell sah
ziemlich entsetzt aus, sagte jedoch: «Ich weiß, er ist beklagenswert
verwildert und ... und verschwenderisch, aber bestimmt... doch nichts
Schlimmeres als das?»
«Nun, das
ist schlimm genug», erwiderte er und bemerkte ihre Absicht, ihn näher
auszufragen. Er ärgerte sich schon genug, daß er sich von seiner Gereiztheit
hatte hinreißen lassen, soviel zu sagen. Ehe sie daher noch etwas zu äußern
vermochte, wechselte er das Thema. Kurz darauf verließ er sie, um sich
umzukleiden. Wie bitter seine Gefühle auch sein mochten, wollte er Nell doch
nicht kränken, indem er ihr die volle Wahrheit über Dysarts Torheiten
enthüllte. Sie wußte wahrscheinlich nichts von dem gewissen kleinen rosa
Zimmer hinter der Bühne des Opernhauses, in welchem die Tänzerinnen – unter
welchen sich jeder Dandy, auf der Suche nach einem Liebesabenteuer, eine dieser
Westend-Kometen auswählen konnte – ihre Tanzschritte vor einem hohen
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