Georgette Heyer
in
vollem Ernst, du hast ihr doch nicht etwa gestattet, eine indezente Toilette
zu tragen, nicht wahr?»
«Nein ... o
nein», erwiderte sie etwas schuldbewußt. «Nicht ... nicht indezent. Ich gebe
zu, sie war nicht ganz das Richtige für ein Mädchen ihres Alters, aber ... nun,
sie darf sie nie wieder tragen ... bitte, Cardross, erwähne ihr gegenüber
nichts davon.»
«Wenn sie
damit aussieht, als gehörte sie einer Kategorie der Weiblichkeit an, welche
meine Tante vorzieht, nicht beim richtigen Namen zu nennen, darf sie sie ganz
bestimmt nie mehr tragen», erwiderte er.
«Nein, so
ist das wieder nicht. Lady Chudleigh weiß ganz genau, daß derartige Toiletten
von Damen der vornehmsten Gesellschaft getragen werden. Bitte, laß diese Sache
jetzt auf sich beruhen. Wenn du Letty auszankst, würde es nur ihren Starrsinn
erregen ... und schließlich war ja doch ich daran schuld.»
«Ich habe
nicht die Absicht, irgendeine von euch auszuzanken, ich muß aber gestehen,
Nell, ich wäre sehr froh gewesen, wenn du energischer aufgetreten wärest»,
sagte er unzufrieden.
«Vielleicht
hätte ich es tatsächlich tun sollen», erwiderte sie traurig. «Es tut mir
entsetzlich leid.»
«Ja? Nun,
lassen wir das. Ich zweifle nicht, daß es dir sehr schwerfällt, Lettys bizarre
Einfälle zu verhindern. Und weil wir schon von dem Maskenball sprechen, was in
des Himmels Namen ist das für eine merkwürdige Geschichte, die ich von einem
Überfall Dysarts auf deine Equipage während der Fahrt nach Chiswick hörte?»
«Ach, du
lieber Gott! Davon wird doch Lady Chudleigh bestimmt nichts wissen?» rief sie
ziemlich entsetzt.
«Nein. Ich
vernahm es von deinem Kutscher. Seinem Bericht nach wurde dein Wagen von Dysart
und zwei Freunden überfallen, die alle als Straßenräuber verkleidet waren. Das
scheint mir selbst von Dysart völlig unglaubwürdig, andrerseits kann ich kaum
annehmen, daß mir Jeffrey ein Märchen auftischen würde. Willst du mir die Sache
gütigst erklären?»
Nell hatte
ganz vergessen, daß ihre Dienerschaft ihm höchstwahrscheinlich von Dysarts
seltsamer Heldentat berichten würde, und einen, ihrer unwürdigen, Moment lang
wünschte sie, soviel Voraussicht gehabt zu haben, ihr Stillschweigen zu
erkaufen. Sie schämte sich dieser Regung unverzüglich und sagte errötend: «Ach,
es war einer von Dys verrückten
Streichen und wirklich zu abscheulich. Ich muß gestehen, ich hoffte, es würde
dir nicht zu Ohren kommen.»
«Das kann
ich mir denken!» sagte er.
«Nun ja ...
ich meine, ich wußte, du würdest dich ärgern. Es war ja nichts dabei ... alles
entstand durch eine ... eine dumme Wette... aber natürlich war es höchst
ungehörig. Das sagte ich ihm auch.»
«Alles
entstand durch eine Wette?» fragte er ungläubig. «Und mit welchem seiner
Freunde hielt es Dysart für schicklich, dich zum Gegenstand einer Wette zu
machen?»
«M ... mit
keinem von ihnen», stotterte sie, völlig verängstigt durch seine strenge Miene.
«Was zum
Teufel meinst du damit?» fragte er.
«Er wettete
mit mir», sagte sie, verzweifelt improvisierend. «Wir ...
wir
sprachen über Maskenbälle, und ich sagte, es wäre ein Unsinn anzunehmen, man
würde einen guten Bekannten nicht erkennen, nur weil er eine
Maske vor dem Gesicht trägt. Dy ... Dy sagte, er würde mir das Gegenteil
beweisen, und ... und so war es. Aber ich erkannte ihn, und so gewann ich die
Wette.»
«Wie
befriedigend! Erkanntest du auch seine Freunde?»
«Nein ...
das heißt, es war nur Mr. Fancot», sagte sie in flehentlichem Ton. «Ja, und
natürlich Joe ... Dys Groom. Aber das hat nichts auf sich, denn er stand schon
immer in unsern Diensten, seit ich denken kann. Bitte, Cardross, sei nicht böse
auf Dy!»
«Böse? Ich
bin weit mehr als böse. Dich derart zu erschrecken, nur um eines Streiches
willen, den ich selbst bei einem Schuljungen kaum entschuldbar finden könnte,
geht weit über das hinaus, was ich ihm zutraute», sagte er zornig.
«Ich hatte
doch keine Angst», versicherte sie ihm. «Oder nur ganz wenig.»
«So?»
fragte er grimmig. «Weshalb hast du dann entsetzt aufgeschrien?»
Nells Augen
sprühten jetzt vor Empörung. «Ich habe nicht geschrien. Ich würde mich eines so
jämmerlichen Betragens schämen. Letty hatte geschrien.»
«Wie feige
von ihr, was?» sagte er voll Hohn.
«Na ja, das
dachte ich mir schon», gestand sie aufrichtig.
«Bist du
durch deine kindische Liebe für Dysart denn völlig verblendet?» fragte er. «Er
hat das Glück,
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