Georgette Heyer
figurieren, noch die Sitten
ihrer Mitglieder zu verderben.
Aus ganz
anderem Holz war jedoch der edle Lord of Barrymore geschnitzt. Weder sein Rang
noch seine Erfolge auf dem Kutschbock oder im Sattel genügten, um ihn der
vornehmen Welt akzeptabel erscheinen zu lassen. Er war einer der Gründer des
Whip Club; er hatte die beliebte Mode
eingeführt, mit einem kleinen Groom zu kutschieren, der auf einem winzigen Sitz
neben ihm hockte; seine Farben wurden bei jedem Rennen gesehen. Dennoch mied
ihn die Gesellschaft hartnäckig, mit Ausnahme des Prinzregenten, welcher nur
allzuoft eine starke Vorliebe für wenig respektable Gesellschaft zeigte. Er
hatte seinen Titel von seinem Bruder, einem irischen Pair, geerbt, welcher den
wenig beneidenswerten Spitznamen Fellgate erworben hatte. Dieser Umstand,
vereint mit dem Besitz eines Klumpfußes, führte natürlich dazu, ihn zum
Cripplegate zu ernennen. Einen jüngeren Bruder, welcher Geistlicher war,
kannte man als Newgate, weil er sich dessen rühmte, in allen Gefängnissen
seines Landes eingesperrt gewesen zu sein; und eine mit einer ungewöhnlich
bösen Zunge behaftete Schwester wurde zwangsläufig zur Billingsgate.
Cripplegate, mit dem Ruhmestitel eines Nonsuch, seiner kühlen
Verwegenheit im Sattel und seinem düsteren Ruf, bildete für so sorglose junge
Leute wie Dysart eine wirkliche Gefahr. Wenn der Wink, den man Cardross
gegeben, auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielt, konnten es weder die
mütterlichen Befürchtungen der Lady Pevensey noch Nells Angst, von ihrem Bruder
getrennt zu werden, verhindern, daß er der Karriere dieses stürmischen jungen
Mannes als Dandy ersten Ranges ohne viel Federlesens ein Ende bereitete. Abgesehen
von dem Dämon der Eifersucht, hegte er für Dysart genügend herzliche Gefühle,
um alles aufzuwenden, ihn vor den Konsequenzen seiner eigenen Torheit zu
bewahren. Um Nells willen war er sogar bereit, sich der unangenehmen Aufgabe
zu unterziehen, Lord Pevensey die wahre Natur des Lebenswandels zu enthüllen,
den sein Erbe führte. Er konnte nur hoffen, daß diese unwillkommene Neuigkeit
sich nicht als verhängnisvoll für die schwer erschütterte Konstitution Seiner
Lordschaft auswirkte. Denn er hielt es für äußerst wahrscheinlich, daß sie
einen zweiten Schlaganfall auslösen könnte. Er hoffte daher aufrichtig, daß es
nicht nötig sein werde, seinen Schwiegervater aus diesem Grund aufzusuchen.
Lord Pevensey mochte die Achseln über Erzählungen von dem jetzt so modern
gewordenen ausschweifenden Leben zucken, doch zu seiner Zeit hätte nicht der
zügelloseste Wüstling der oberen Zehntausend in den Slums Zerstreuung gesucht.
Wenn er sich durch den Schlaganfall, welchen er erlitten, nicht in einem weit
hilfloseren Zustand befand, als Cardross anzunehmen Grund hatte, konnte man
sich darauf verlassen, daß er die Opposition seiner Frau im selben Augenblick
überwinden würde, in welchem er die Nachricht erhielt, daß Dysart nicht nur in
freundschaftlichsten Beziehungen zu Taugenichtsen, Landstreichern und
Kutschern stand, sondern sich auf dem besten Wege befand, der Zechbruder. eines
Menschen zu werden, den Seine Lordschaft als einer der ersten in Acht und Bann
getan hatte.
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Cardross fürchtete, seine unbedachten Worte
könnten Nell veranlassen, sich für die Lebensweise ihres Bruders näher zu
interessieren; in Wirklichkeit war sie jedoch weniger dadurch beunruhigt als
durch die möglichen Konsequenzen, welche die Geschichte haben könnte, die sie
wegen des Überfalls auf ihren Wagen erfunden hatte. Sie war über das, was er
gesagt, gewiß erschrocken gewesen, doch nach wenigen Minuten führte sie ihre
Überlegung zu der Annahme, daß ihn nur seine Eifersucht, die sie so deutlich
entdeckt hatte, zu dieser Übertreibung veranlaßte. Daß er das Thema so
plötzlich wechselte, verlieh ihrer Vermutung den Anschein der Wahrheit; und da
ihre eigenen Sorgen immer bedrohlicher wurden, dachte sie weiterhin sehr wenig
über diese Sache nach.
Ihre
unvermutete Begegnung mit Cardross hatte sie völlig außer Fassung gebracht; es
hatte sie Mühe gekostet, ihre Haltung zu bewahren, denn nie zuvor hatte er sie
mit so kühler Reserve behandelt oder mit so harten forschenden Augen betrachtet.
Schuld war bestimmt sie allein; denn als er das Zimmer betrat, hatte er noch
nicht diesen erschreckenden Gesichtsausdruck gehabt. Der Gedanke, er könnte
eine Erklärung für ihre deutlich erkennbare Bestürzung fordern, entsetzte sie,
doch als er davon absah –
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