Georgette Heyer
haben,
Madame, wieder unter die Leute zu gehen. Ich möchte nicht, daß Avon noch mehr
Verdacht schöpft.»
«Aber was
wird er tun?» fragte Madame. «Warum wartet er zu? Was führt er im Sinn?»
«Sangdieu, Madame, glauben
Sie, ich würde so müßig herumstehen, wenn ich's wüßte?»
«Weiß –
weiß sie es?»
«Nein, ich
verpfände meine Ehre, daß sie's nicht weiß.»
Madame
lachte wild auf.
«Deine
Ehre! Deine Ehre! Grand Dieu, du wagst es noch, von deiner Ehre zu
sprechen?»
Zornig trat
er einen Schritt auf sie zu; ihre Hand lag bereits auf der Türklinke.
«Sie war in
jenem Augenblick dahin, als du mich zwangst, mein Kind herzugeben!» rief sie.
«Du wirst deinen Namen in den Schmutz gezogen sehen! Und meinen dazu! Oh,
kannst du denn nichts tun?»
«Schweigen
Sie, Madame!» zischte er. «Sollen die Lakaien Sie hören?»
Sie fuhr
auf und warf einen schnellen, verstohlenen Blick um sich. «Eine Entdeckung
bedeutet meinen Tod, glaube ich», sagte sie völlig ruhig und verließ das
Zimmer.
Saint-Vire
ließ sich in einen Stuhl fallen und blickte mit gefurchter Stirn vor sich hin.
Plötzlich erschien ein Lakai.
«Ja?» fuhr
Saint-Vire zusammen.
«Monsieur,
eine Dame wünscht Sie zu sprechen.»
«Eine
Dame?» fragte Saint-Vire überrascht. «Wer ist es?»
«Ich weiß
es nicht, Monsieur. Sie wartet im kleinen Salon auf Sie und sagt, daß sie Sie
sprechen muß.»
«Wie sieht
sie aus?»
«Monsieur,
sie ist verschleiert.»
«Ein
Ränkespiel, enfin!» Saint-Vire erhob sich. «Im kleinen Salon?»
«Ja,
Monsieur.»
Saint-Vire
ging durch die Vorhalle in das kleine Empfangszimmer. Eine Dame stand beim
Fenster, in einen Mantel gehüllt, einen Schleier über das Gesicht gezogen. Als
Saint-Vire eintrat, schlug sie mit ihrer kleinen und resoluten Hand den
Schleier zurück. Saint-Vire blickte in die dunklen Augen seiner Tochter.
«Oho!»
sagte er leise mit einem suchenden Blick zum Türschlüssel.
«Ich habe
ihn», sagte Léonie ruhig. «Und ich teile Ihnen mit, M'sieur, daß meine Jungfer
auf der Straße auf mich wartet. Falls ich nicht binnen einer halben Stunde zu
ihr zurückkehre, wird sie sofort zu Monseigneur gehen und ihm sagen, daß ich
hier bin.»
«Äußerst
umsichtig», sagte Saint-Vire sanft. «Was wollen Sie von mir? Haben Sie denn
keine Angst, sich in meine Gewalt zu begeben?»
«Pah!» rief Léonie und brachte
ihre kleine vergoldete Pistole zum Vorschein.
Saint-Vire
trat näher.
«Ein
hübsches Spielzeug», höhnte er, «doch ich weiß, was solch eine Spielerei in der
Hand einer Frau bedeutet.»
«Quant à
ça», sagte Léonie
ohne Umschweife, «ich möchte Sie sehr gerne töten, weil Sie mir etwas übles zu
trinken gaben, aber ich werde Sie nur töten, wenn Sie mich berühren.»
«Oh, besten
Dank, Mademoiselle! Welcher Ursache verdanke ich Ihren
Besuch?»
Léonie
heftete ihren Blick auf seine Züge.
«Monsieur,
Sie werden mir sagen, ob es wahr ist, daß Sie mein Vater sind.»
Saint-Vire
antwortete nicht, er stand ganz still und wartete ab. «Sprechen Sie!» forderte
ihn Léonie heftig auf. «Sind Sie mein Vater?»
«Mein Kind
...» Saint-Vire sagte es sanft. «Warum fragst du mich das?»
«Weil die Leute
sagen, ich sei Ihre illegitime Tochter. Sagen Sie mir: ist das wahr?» Léonie
stampfte mit dem Fuß auf.
«Mein armes
Kind!» Saint-Vire wollte näher treten, doch die Mündung der Pistole richtete
sich auf ihn. «Du brauchst keine Angst zu haben, petite. Es lag nie in
meiner Absicht, dir ein Leid zuzufügen.»
«Schweinekerl!»
rief Léonie. «Ich fürchte mich vor nichts, aber wenn Sie mir näher kommen, wird
mir übel werden. Ist es wahr, was die Leute sagen?»
«Ja, mein
Kind», antwortete er und brachte einen Seufzer zustande! «Wie ich Sie
hasse!» rief sie mit Inbrunst.
«Willst du
dich nicht setzen?» fragte er. «Es betrübt mich, dich sagen zu hören, daß du
mich hassest, doch ich verstehe in der Tat, wie dir zumute sein muß. Du tust
mir sehr leid, petite.»
«Ich werde
mich nicht setzen», erklärte Léonie rundweg, «und mir wird noch übler zumute,
wenn Sie mich petite nennen und sagen, ich täte Ihnen leid. Mehr denn je
habe ich den Wunsch, Sie zu töten.»
Saint-Vire
war schockiert.
«Ich bin
dein Vater, Kind!»
«Das läßt
mich kalt», entgegnete sie. «Sie sind ein schlechter Mensch, und wenn es wahr
ist, daß ich Ihre Tochter bin, dann sind Sie noch schlechter, als ich dachte.»
«Du
verstehst nichts von der Welt, in der wir leben», seufzte er. «Eine
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