Georgette Heyer
die Glocke an ihrer Eingangstür schellen hörte,
leuchteten ihre porzellanblauen Augen auf, und sie streckte die Hand nach dem
Spiegel aus.
Nach ein
paar Minuten klopfte ihr schwarzer Page an die Tür. Sie legte den Spiegel
nieder und wandte sich nach ihm um.
Pompejus
grinste und neigte seinen wolligen Schädel.
«Gawlier,
Ma'am sehen wollen!»
«Wie heißt
er?» fragte sie.
Eine sanfte
Stimme ertönte hinter dem Pagen.
«Meine
liebe Fanny, er heißt Avon. Ich schätze mich glücklich, dich in deinem Heim
anzutreffen.»
Fanny stieß
einen Schrei aus, klatschte in die Hände und sprang auf, um ihn zu begrüßen.
«Justin! Du
bist's! Oh, wie wundervoll, oh, wie köstlich!» Sie ließ es nicht zu, daß er
ihre Fingerspitzen küßte, sondern schlang die Arme um seinen Hals und drückte
ihn an sich. «Es ist eine Ewigkeit her, daß ich dich zuletzt gesehen habe! Der
Koch, den du mir schicktest, ist ein Weltwunder! Edward wird sich ja so sehr
freuen, dich zu sehen! Phantastische Gerichte! Und bei meiner letzten
Gesellschaft eine Sauce, die zu schildern mir einfach die Worte fehlen!»
Der Herzog
löste sich aus ihrer Umarmung und schüttelte seine Spitzenmanschetten aus.
«Es
scheint, daß Edward und der Koch irgendwie durcheinandergeraten sind»,
bemerkte er. «Ich hoffe dich bei guter Gesundheit, Fanny?»
«Ach ja!
Und du? Justin, du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, daß du
zurückgekehrt bist! Ich muß gestehen, ich habe dich ganz entsetzlich vermißt!
Doch was heißt dies?» Ihr Blick war auf Léonie gefallen, die, in einen
langen Mantel gehüllt, den Dreispitz in der Hand, sich an einen Rockzipfel des
Herzogs klammerte.
Seine
Gnaden löste Léonies Hand von seiner Kleidung und ließ es zu, daß sie seine
Rechte umfaßte.
«Dies,
meine Liebe, war bis gestern mein Page. Jetzt ist es mein Mündel.»
Fanny
schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück.
«Dein –
dein Mündel? Dieser Junge? Justin, hast du den Verstand verloren?»
«Nein,
meine Liebe, keineswegs. Ich bitte dich, Mademoiselle Léonie de Bonnard mit
Freundlichkeit und Güte aufzunehmen.»
Fannys
Wangen färbten sich scharlachrot. Ihre kleine Figur reckte sich in die Höhe,
und ihre Augen nahmen einen entrüsteten und hochmütigen Ausdruck an.
«Ei, Sir?
Darf ich fragen, warum du dein – dein Mündel hierherbringst?»
Léonie fuhr
leicht zusammen, doch sie sprach kein Wort. Avons Stimme wurde aalglatt.
«Ich bringe
sie zu dir, Fanny, weil sie mein Mündel ist und weil ich noch keine Duenna für
sie habe. Sie wird es dir zu danken wissen, wissen, glaube ich.»
Fannys
zarte Nüstern erbebten.
«So,
glaubst du? Justin, wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, sie
hierherzubringen?» Sie stampfte mit dem Fuß auf. «Nun hast du mir die ganze
Freude vergällt! Ich hasse dich!»
«Willst du
mir vielleicht eine private Unterredung von einigen Minuten gewähren?» sagte
Seine Gnaden. «Mein Kind, erwarte mich in jenem Zimmer.» Er schritt auf eine
Tür zu, die in einen Vorraum führte. «Komm, Kind.»
Léonie
blickte ihn argwöhnisch an.
«Sie werden
inzwischen nicht weggehen?»
«Nein.»
«Versprechen
Sie's! Bitte, Sie müssen es mir versprechen!»
«Diese düstere
Leidenschaft für Eide und Versprechungen!» seufzte Avon. «Ich verspreche es,
mein Kind.»
Daraufhin
ließ Léonie seine Hand los und begab sich in den angrenzenden Raum. Avon
schloß hinter ihr die Tür und wandte sich seiner erzürnten Schwester zu. Er zog
seinen Fächer aus der Tasche und entfaltete ihn.
«Du
benimmst dich wirklich wie eine rechte Närrin», sagte er und trat ans Feuer.
«Zumindest
bin ich aber eine achtbare Person! Ich halte es für sehr unnett und beleidigend
von dir, deine – deine ...»
«Ja, Fanny?
Meine ...?»
«Also, dein Mündel! Das ist unanständig von dir! Edward wird sehr, sehr böse sein,
und ich hasse dich!»
«Da du dich
nun deiner Gefühle entledigt hast, wirst du dich gewiß herbeilassen,
meine Erklärungen entgegenzunehmen.» Die Augen Seiner Gnaden waren nahezu
geschlossen und seine schmalen Lippen zu einer spöttischen Grimasse verzogen.
«Ich will
keine Erklärungen! Ich will, daß du diese Kreatur fortschaffst!»
«Wenn du
nach Anhören meiner Geschichte dies noch immer wünschst, werde ich sie fortschaffen.
Setz dich, Fanny. Diese Miene verletzten Sittlichkeitsgefühls ist mir
gegenüber völlig vergeudet.»
Sie ließ
sich in einen Lehnstuhl fallen.
«Du bist
wirklich äußerst unfreundlich!
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