Gepaeckschein 666
wahr?“
Peter wurde blitzartig ganz rot, wie eine Verkehrsampel, die auf Halt springt. „Sie - Sie - können mehr als nur Vornamen erraten, Fräulein Wiesengrund“, stammelte er schließlich.
„Das zu erraten war nicht schwer. In der letzten Zeit waren eine ganze Menge Väter und Mütter mit ihren Jungen in diesem Zimmer. Sie haben sich genauso benommen wie ihr beiden. Ich wußte sofort Bescheid. Aber es tut mir leid, daß du kein Glück haben wirst. Du kannst gar kein Glück haben, weil alle Stellen schon besetzt sind. Das ist jammerschade, du hättest bestimmt sehr gut hierher gepaßt, und es hätte dir auch Spaß gemacht. So - und jetzt nimm auch noch das letzte Stück Schokolade und sei, wie gesagt, nicht böse auf uns, wenn dir in ein paar Minuten deine Mutter oder der Direktor sagen muß, daß wir keinen Platz mehr frei haben.“ Peter nahm das letzte Stück Schokolade eigentlich ganz in Gedanken. Er ließ es langsam auf der Zunge zergehen, kaute an den beiden Nüssen herum, die darin waren, und sah zum Fenster hinaus.
Drüben war eine riesengroße Reklame auf die Hauswand gemalt. „Persil bleibt doch Persil.“ Die Farbe vom l beim zweiten Persil war allerdings schon etwas abgebröckelt.
„Sie sind wirklich sehr freundlich, Fräulein Wiesengrund“, sagte Peter nach einer ganzen Weile noch einmal. Er sah die Sekretärin jetzt an. „Natürlich hätte ich mich gefreut wie ein Schneekönig, wenn es hier geklappt hätte. Aber vielleicht ist es sogar besser so. Ich meine, wenn es nicht klappt. Ich verdiene nämlich im Augenblick für mein Alter gar nicht so schlecht, und das hilft uns zu Hause. Als Page bekommt man am Anfang bestimmt nicht viel, und da müßte Frau Pfannroth - das heißt, meine Mutter - noch mehr arbeiten als bisher schon. Dabei ist sie sowieso nicht ganz auf dem Posten, müssen Sie wissen. Man sieht es ihr nur nicht an, und sie will es auch nicht zugeben. Aber ich weiß —“
In diesem Augenblick schnappte die Klinke an den beiden lederbepolsterten Türen. Diese Türen öffneten sich allerdings noch nicht.
„ - und wenn ich Sie gestört habe, bitte ich Sie recht sehr um Entschuldigung“, hörte man die Stimme von Mutter Pfannroth.
Fräulein Wiesengrund und Peter sahen sich an. Dann gingen ihre Blicke aber sofort wieder zu der Messingklinke hinüber, die immer noch heruntergedrückt war, ohne daß sich die Tür öffnete.
„Liebe Frau Pfannroth, dafür habe ich Verständnis. Ich würde an Ihrer Stelle auch alles versucht haben“, das war die Stimme des Direktors. „Aber Sie müssen auch mich verstehen. Und das tun Sie, wie ich sehe. Vielleicht, wenn Ihr Junge in einem Jahr noch nichts anderes gefunden hat, kommen Sie wieder.“
Jetzt wurde die Tür auf gemacht.
Zuerst erschien Mutter Pfannroth, mit dem Rücken voraus.
Sie verabschiedete sich gerade. Von dem Direktor war dabei lediglich die Hand zu sehen und ein Stück schwarzen Rockärmels.
„Auf Wiedersehen, Herr Direktor“, sagte Mutter Pfannroth.
„Auf Wiedersehen, Frau Pfannroth“, antwortete der Direktor.
Und jetzt erschien er ebenfalls im Rahmen der geöffneten Tür.
In diesem Augenblick wäre Peter beinahe umgekippt. Der weißhaarige Herr, der jetzt mit Mutter Pfannroth ins Zimmer trat, war der „Regenschirm“!
Peter biß sich auf die Unterlippe. Donnerwetter, das tat weh. Er träumte also nicht, und was er sah, mußte wirklich wahr sein. Eine tolle Sache! Direktor Adler und der „Regenschirm“ waren also ein und dieselbe Person.
Direktor Adler war der „Regenschirm“, und umgekehrt war der „Regenschirm“ Direktor Adler.
„Hallo!“ Direktor Adler hatte den Jungen entdeckt und ging jetzt lachend auf ihn zu. „Kundendienst bis in die eigene Wohnung. Postkarte genügt, komme sofort. Das ist wohl das Neueste bei euch, wie?“
„Guten Tag, Herr Direktor“, sagte Peter. Seine Stimme hörte sich an, als habe er sich gerade auf einem Fußballplatz heiser gebrüllt.
Immer noch lachend legte Direktor Adler dem Jungen seine Hand auf die Schulter. „Nanu, was ist denn los mit dir?“
Peter sah etwas hilflos zu Fräulein Wiesengrund und dann zu seiner Mutter.
Auch Direktor Adler sah jetzt zu seiner Sekretärin und dann zu Frau Pfannroth. „Eigentlich ist er sonst gar nicht so schüchtern, wie es vielleicht jetzt den Eindruck macht.“
„Kennen Sie sich denn?“ fragte Fräulein Wiesengrund.
„Ja - ein wenig!“ sagte Frau Pfannroth.
„Und ob wir uns kennen! Das ist doch der Junge, von dem ich
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