Gepaeckschein 666
bestimmt war.
Francis hatte inzwischen seine Jacke aus gezogen und über einen Sessel geworfen. Er wollte seinen zitronengelben Pullover zeigen. Mitten auf der Brust dieses Pullovers hatte er nämlich einen Cowboy, und zwar einen sehr bunten Cowboy. Der wirbelte gerade sein Lasso durch die Luft, und sein Pferd stieg mit den Vorderbeinen steil in die Höhe. Das Ganze war ein richtiges Gemälde.
Unwillkürlich blieb Peter eine Sekunde stehen und riß die Augen auf. Aber als er merkte, daß ihn der junge Overseas beobachtete, nahm er schnell die beiden Staubmäntel und suchte nach Kleiderbügeln.
Francis setzte sich jetzt in einen Sessel und schlug die Beine übereinander. Dabei rutschten seine blauen Leinenhosen, die er ohnehin fast bis zu den Waden hochgekrempelt trug, noch höher, und seine Strümpfe waren in ihrer ganzen Länge freigelegt, sie leuchteten in ziemlich allen Regenbogenfarben.
Der junge Overseas ließ Peter nicht aus den Augen, dabei kaute er unentwegt auf seinem Kaugummi herum.
Peter spürte diese Blicke natürlich, sie machten ihn unsicher. Er beeilte sich also, die beiden Mäntel aufzuhängen, und drehte sich um. „Auf Wiedersehen, Mister Overseas“, sagte er und wollte gehen.
„Ist Radio im Zimmer?“ fragte der Junge mit dem Cowboy auf der Brust. Dabei klang das „Radio“ so, als sei es gerade von einer Straßenbahn überfahren worden.
„Hier neben dem Bett“, sagte Peter höflich.
„ Please !“ Der junge Overseas drehte jetzt auffordernd mit seiner rechten Hand in der Luft herum, wie an einem Lichtschalter.
„Sehr wohl“, sagte Peter, das hatte er jetzt schon mehrmals bei Chefportier Krüger gehört. Er ging zum Bett und setzte das Radio in Betrieb. Zuerst summte es nur, aber nach etwa zehn Sekunden war der Empfang glasklar. Leider sprach gerade jemand über die neue Steuerreform.
Peter sah zu dem jungen Overseas, und der sah zu Peter. Sozusagen Auge in Auge hörten sie eine ganze Weile zu. Das heißt, sie hörten natürlich nicht zu, sie sahen sich nur an.
„Eigentlich gefällt er mir ganz gut“, dachte der junge Overseas, „als Page ist er jedenfalls ein Musterexemplar. Aber vielleicht bekomme ich ihn doch noch soweit, daß er aus der Rolle fällt und wütend wird.“
„Er hat tatsächlich Haare wie eine Schuhbürste“, überlegte Peter, „und angezogen ist er wie ein Zirkusclown. Vermutlich hat er noch keinen Pfennig selber verdienen -“
„Stop!“ sagte in diesem Augenblick der junge Overseas und drehte wieder mit der Hand durch die Luft, dieses Mal allerdings rückwärts.
„Sehr wohl“, sagte Peter und schaltete das Radio ab.
„Sonst noch Wünsche, Mister Overseas?“
Anstelle einer Antwort ging Francis in seinem Sessel einfach in den Kopfstand. Er hielt sich ziemlich senkrecht und streckte jetzt sogar die Arme aus, auch ziemlich gerade.
„Zwei bis drei“, dachte Peter und ging zur Tür.
„Kannst du das auch?“ fragte Overseas junior aus seinem Sessel. Die Stimme klang etwas gequetscht.
„Ich bin leider im Dienst“, bemerkte Peter und verbeugte sich jetzt. „Auf Wiedersehen, Mister Overseas“, sagte er dabei wieder einmal.
„Mach das bitte noch einmal!“ rief es aus dem Sessel. „Das sieht so komisch aus. Ich meine, wenn du, von mir aus gesehen, auf dem Kopf stehst und eine Verbeugung machst.“
„Wie Sie wünschen, mein Herr“, sagte Peter. Er holte tief Luft und verbeugte sich noch einmal.
„ Wonderful !“ rief Overseas junior und strampelte jetzt vor lauter Vergnügen mit seinen Regenbogensocken in der Luft herum. Aber dann mußte er plötzlich husten, vermutlich war ihm sein Kaugummi in die Luftröhre gerutscht.
Diese Gelegenheit war äußerst günstig, und da Peter im gleichen Augenblick von nebenan auch wieder die Stimmen von Direktor Adler und Mister Overseas zurückkommen hörte, sagte er jetzt endgültig: „Auf Wiedersehen!“ und verschwand.
Als er sich in der Halle wieder auf die Pagenbank setzte, explodierte der kleine Rothaarige beinahe vor Neugier.
„So ein Glück!“ japste er und fragte gleich: „Wieviel?“
„Keine Ahnung“, bedauerte Peter.
„Wieso?“ Der Kleine saß plötzlich ganz aufrecht und machte große Augen.
„Er hat sich meine Postschecknummer aufgeschrieben und will’s mir überweisen.“
„Du bist einfach gemein!“ zischte der Rothaarige.
Chefportier Krüger war aufmerksam geworden und sah schräg von oben durch seine Brillengläser. „Ich bitte mir Ruhe aus, meine Herren!“
Zehn
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