Gepaeckschein 666
Mark und vierzig zurück“, stellte Peter sehr sachlich fest und legte das Geld auf den Tisch.
Herr Meyer hätte Beamter beim Finanzamt oder auch Vertreter einer Versicherungsfirma sein können. Er war durchschnittlich groß, durchschnittlich dick und hatte auch ein durchaus durchschnittliches Gesicht. Er trug einen schwarzen Anzug und einen Zwicker. Da er auf der Straße auch noch eine schwarze Melone auf dem Kopf hatte, wußte man nie, ob er wohl gerade zu einer Beerdigung oder zu einer Hochzeit ging. Sein Gesicht paßte für beides gleich gut oder gleich schlecht.
Dauergast Meyer nahm jetzt das Geld Stück für Stück von der Tischplatte, zählte es nach und steckte es in seine Westentasche. Bis auf einen Groschen. Den bekam der Page.
„Schönen Dank, Herr Meyer“, sagte Peter und wollte wieder verschwinden.
Aber da fragte Herr Meyer noch wie ein Reviervorsteher: „Dein Name?“
„Peter Pfannroth.“
„Gut. Das wäre alles“, stellte jetzt der Herr von 477 fest, ging zum Fenster und machte es zu.
So zwischen dem zweiten und dem ersten Stockwerk blieb Peter plötzlich mitten auf der Treppe stehen.
„Würde mich eigentlich sehr interessieren“, überlegte er, „womit dieser Herr Meyer so viel verdient, daß er hier wohnen kann. Das kostet doch bestimmt eine Menge Geld auf die Dauer —“
Aber dann erinnerte sich Peter wieder an den Rat des Jungen mit den abstehenden Ohren, daß man sich als Hotelangestellter keine Gedanken machen dürfe.
Er pfiff also leise durch die Zähne und hätte sich jetzt am liebsten auf das Treppengeländer gesetzt. Es war so schön und breit und glatt. Aber er tat es natürlich nicht und ging artig zu Fuß, wie es sich für einen Pagen gehörte, wenigstens am dritten Tag.
Die Pagenbank hatte ihre genauen Spielregeln.
Wenn Chefportier Krüger einen Pagen zu sich rief, weil er einen Auftrag für ihn hatte, galt das jeweils für den Jungen, der gerade an der Drehtür stand. An seine Stelle kam jetzt der Page, der am weitesten links saß. Die Bank rückte ganz einfach nach.
Das Stehen an der Drehtür war am wenigsten beliebt, bis auf die Vormittagsstunden mit den häufigen Abreisen und den dicken Trinkgeldern.
Aber das war ja gerade der Vorteil dieser Sitzordnung auf der Pagenbank: Keiner der Jungen wurde bevorzugt oder benachteiligt. Ob man an der Drehtür stand oder einen Hund spazieren führte, das war jeweils reine Glückssache. Je nachdem, wie man gerade nachrückte. Peter hatte zum Beispiel heute ausgesprochenes Pech.
Zuerst sah es allerdings so aus, als bekäme er schon sehr früh wieder etwas zu tun.
Die Pagen, die vor ihm saßen, gingen weg wie frischgebackene Brötchen. Immer wieder klingelte bei Chefportier Krüger das Telefon, und dann schnalzte er auch schon mit Daumen und Zeigefinger und rief: „Page!“
Zimmer 128 wollte Briefpapier, für Zimmer 312 mußten Theaterkarten besorgt werden, Zimmer 478 rief nach Spalttabletten.
„Page!“
Conny Kampendonk flitzte zu Herrn Krüger.
„Zimmer 404.“
„Zimmer 404“, wiederholte der hellblonde Junge.
Die ganze Pagenbank grinste und wußte Bescheid.
„Ich hoffe, du hast Katzen gern?“ fragte Chefportier Krüger und hatte jetzt plötzlich auch ganz lustige Augen hinter seiner Brille.
„Sehr gern!“ versicherte Conny und trabte los.
Der kleine Rothaarige baumelte mit den Beinen vor Vergnügen, hatte die Hände zwischen den Knien und zog die Schultern hoch. Nach einer Weile flüsterte er allerdings zu seinem Nebenmann: „Immerhin, zwei Mark sind ihm sicher.“
„Ruhe!“ sagte Chefportier Krüger wie ein Studienrat. Er rechnete nämlich gerade an seiner Portokasse herum. Jetzt stand Peter an der großen gläsernen Drehtür.
Und von diesem Augenblick an war das Telefon von Chefportier Krüger kein Telefon mehr, sondern nur noch ein toter schwarzer Kasten. Es war, als hätte jemand die Leitung durchgeschnitten.
Die Pagen auf ihrer Bank fingen an, sich zu langweilen, und Peter spürte allmählich, daß er Füße hatte.
„Guten Tag“, sagte er, wenn jemand hereinkam, „Auf Wiedersehen“, wenn jemand hinausging.
Aber es gingen sehr wenig Leute hinaus, und es kamen auch wenig herein. Das ganze Hotel schien sich zum Mittagsschlaf aufs Ohr gelegt zu haben.
Drüben gähnte die Garderobenfrau.
Der Fahrstuhlführer saß in seinem Aufzug und las die Zeitung. Der junge Angestellte in der Empfangsloge füllte seinen Totozettel aus. Im übrigen war die Halle so ziemlich leer. Nur ganz hinten saß
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