Gepeinigt
Margot begrüÃte die Polizistin mit einem Nicken. Sie hatten schon ein paarmal miteinander zu tun gehabt.
»Mary?«, rief die Beamtin überrascht aus.
Margot warf einen raschen Blick auf ihre Patientin, die die Schultern gestrafft und sich trotzig aufgerichtet hatte. Offenbar wollte sie jeden Anschein von Verletzlichkeit vermeiden. Margot beschloss, sich herauszuhalten.
»Kelly«, sagte Mary kühl.
»Menschenskind, Mary. Sind Sie in Ordnung? Weià jemand, dass Sie hier sind? Haben Sie das Revier schon verständigt?«
Ein knappes Kopfschütteln.
Jetzt wurde Margot einiges klar. Ihre Patientin war Polizeibeamtin. Daher das aggressive, trotzige Auftreten.
»Könnten Sie kurz warten?«, fragte die Polizistin Margot und dann, an Mary gewandt: »Ich rufe kurz auf dem Revier an. Sie müssen erfahren, dass Sie wieder aufgetaucht sind. Ein Team sucht nach Ihnen.« Sie verschwand.
Margot breitete ein Laken auf dem Boden aus.
»Haben Sie sich seit der Tat gewaschen oder geduscht?«
Ein tonloses Nein.
»Gut, dann treten Sie bitte hier auf das Laken und ziehen Sie sich aus. Lassen Sie Ihre Kleidung auf das Laken fallen. Bitte alles ablegen. Auch Schmuck und dergleichen.« Sie zeigte auf Marys Uhr.
Mary zuckte die Achseln.
»Ist sowieso kaputtgegangen.«
Margot wies auf die Formulare.
»Ich werde Sie mir kurz ansehen und Senior Constable Kruger wird Fotos machen. Dann können Sie ein Flügelhemd überziehen und sich auf die Liege legen.«
Ein energisches Klopfen kündigte die Rückkehr der Polizeibeamtin an.
Margot sah zu, wie die Patientin mit hoch erhobenem Kopf und trotzigem Gesichtsausdruck ihren übergroÃen blauen Mantel auszog. Darunter trug sie zu Margots Ãberraschung aufsehenerregende billige rot-schwarze Spitzenunterwäsche.
»Das ist nicht von mir«, zischte Mary. »Sie sollten Fotos davon machen.«
Senior Constable Kruger machte sich professionell ans Werk: zuerst eine Ganzkörperaufnahme, dann Nahaufnahmen von der Wäsche, Vor- und Rückseite. Darauf widmete sie sich den einzelnen Verletzungen. Als sie fertig war, riss sich Mary den Spitzenbody vom Leib und schleuderte ihn zornig aufs Laken. Schuhe trug sie nicht.
Margot reichte ihr sogleich ein Flügelhemd und beobachtete, wie sie hineinschlüpfte. Unwillkürlich bewunderte sie den bemerkenswert durchtrainierten Körper der Frau.
»Lassen Sie es bitte vorläufig offen. Wir müssen noch ein paar Fotos vom Brust- und Rippenbereich machen.« Mary hielt still wie eine Schaufensterpuppe, während Margot das weiche, oft gewaschene Hemd hier hob und dort beiseitezog, damit die Beamtin ihre Fotos machen konnte.
»Ich denke, Sie wissen, dass Sie in ein, zwei Tagen noch mal herkommen müssen, damit wir Fotos von den Blutergüssen machen können, die sind dann deutlicher zu erkennen.«
Mary nickte steif.
»Würden Sie jetzt bitte drauÃen warten, Kelly?«, bat Margot.
»Natürlich.«
Aber Mary hatte der Kollegin noch etwas mitzuteilen.
»Bitte rufen Sie auf dem Revier an, Kelly. Sie sollen niemand mehr herschicken. Ich werde nicht hierbleiben.«
»Aber wo werden Sie sein? Nick braucht Ihre Aussage.«
»Leitet er die Ermittlungen?«
»Ja.«
Mary lehnte sich an die Liege und rieb sich die Augen.
»Also gut. Aber sagen Sie ihm, er soll nicht einfach hier reinplatzen. Ich rufe ihn an, wenn ich so weit bin.« Sie funkelte ihre Kollegin gereizt an. »Und bloà er, sonst keiner! Ich will nicht, dass das ganze Team anrückt.«
Kelly Kruger nickte zuerst Mary, dann Margot zu. »Ich warte drauÃen.«
Margot machte sich nun daran, die zahlreichen Schürfwunden und Verletzungen ihrer Patientin zu untersuchen und zu katalogisieren: im Gesicht, im Rippenbereich, Hand-und FuÃgelenke, FüÃe und Waden.
»Haben Sie irgendwo gröÃere Schmerzen?«
»Es ist nichts gebrochen«, antwortete Mary nur.
»Das können Sie nicht mit Sicherheit sagen. Wir müssen Sie auf jeden Fall röntgen. Sie haben zahlreiche verdächtig aussehende Verwundungen. Ich werde eine Schwester reinschicken, die Ihre Wunden säubert. Dann wissen wir genauer, ob Sie irgendwo genäht werden müssen. Das hier wird jedenfalls ein hübsches Veilchen. Also gut, Sie können das Hemd jetzt zubinden. Ich breite nur rasch Papier über die Liege, dann können Sie sich drauflegen. Was jetzt
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