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Gepeinigt

Titel: Gepeinigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresa Saunders
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das bis jetzt tunlichst vermieden, doch die Neugier siegte. Malcolm Roth und die zwei ältesten Kinder hatten die Köpfe gesenkt und mieden ihren Blick, aber Jillian Roth starrte trotzig zu ihr
herüber. Ihre Augen besaßen einen eiskalten Ausdruck. Mit ihrem hellen, glatten Teint wäre sie normalerweise eine hübsche Frau gewesen, aber nicht mit so einem Gesichtsausdruck. Margot spürte den Hass der Frau wie etwas Körperliches. Sie fragte sich unwillkürlich, wie oft ihr Mann und die Kinder diese visuellen Attacken ertragen mussten.
    Sie schauderte. Hörte das Knallen von Richter Parkers Hammer, der die Verhandlung für die Dauer der Mittagspause vertagte. Sollte sie hierbleiben und den weiteren Verlauf der Verhandlung verfolgen oder zum Krankenhaus zurückkehren? Es gab dort immer jede Menge zu tun. Der Staatsanwalt nickte ihr kurz zu, was ihr keinerlei Aufschluss darüber gab, ob sie ihre Sache gut gemacht hatte.
    Sie setzte sich auf ihren ursprünglichen Platz, erhob sich aber gleich wieder, da nun alle aufstanden, um den Gerichtssaal zu verlassen. Auf dem Weg nach draußen grüßte sie einen Polizisten, mit dem sie schon einmal zu tun gehabt hatte. Wie viele andere auch holte sie draußen vor dem Gebäude ihr Handy heraus und schaltete es an. Etwas abseits scharten sich einige zu Grüppchen zusammen und zündeten sich Zigaretten an. Der Rauch waberte zu ihr herüber, während sie ihre Mailbox abhörte. Bloß eine Nachricht. Stefanie Phillips, die Schwester, die heute auf der Notfallstation Dienst tat, bat um ihren Rückruf. Mary wählte die Nummer, und während sie darauf wartete, mit der Schwester verbunden zu werden, ging sie zerstreut die Vortreppe hinunter.
    Â»Margot, ich bin so froh, dass Sie anrufen«, sagte Stephanie, »sind Sie schon fertig?«
    Â»Ja. Meinen Teil habe ich jedenfalls erledigt. Jetzt ist Mittagspause. Wieso? Braucht ihr mich?«
    Â»Wir haben hier eine Frau, die vermutlich das Opfer einer Vergewaltigung wurde. Sie ist ziemlich durcheinander.«

    Â»Warum rufen Sie nicht Georgia Wilson? Sie hat Erfahrung in solchen Fällen.«
    Â»Hat heute frei. Aber ich kann sie benachrichtigen lassen, wenn’s unbedingt sein muss.«
    Â»Nein, lieber nicht. Ich komme sofort.«
    Margot klappte ihr Handy zu und ging zu ihrem Auto. Plötzlich klatschten ihr ein paar Regentropfen auf Kopf und Schultern. Überrascht blickte sie auf. Der Himmel, der noch am Morgen makellos blau gewesen war, war nun von dunkelgrauen Wolken überzogen. Sie beeilte sich, zu ihrem Wagen zu kommen, um einem Regenguss zu entgehen.
    Gut, dass sie im Krankenhaus gebraucht wurde, dachte Margot. Ansonsten hätte sie sich bloß verpflichtet gefühlt, der Verhandlung weiter beizuwohnen – sie war nun mal ein Mensch, der es gewohnt war, die Dinge zu Ende zu bringen. Aber sie war froh, dass es ihr nun erspart blieb, sich noch einmal alle hässlichen Details der Misshandlungen anhören zu müssen, die die kleine Lucy Roth vonseiten ihrer Mutter erfahren hatte. Diese hatte ihr wiederholt Antigene gespritzt. Nach der Trennung von der Mutter waren die Krankheitssymptome sofort abgeklungen.
    Margot verbrachte die nächsten zwanzig Fahrtminuten tief in Gedanken.
    Einfach herzzerreißend, dass Mütter dazu fähig waren, ihrem Kind absichtlich Schaden zuzufügen, dass kleine Kinder überhaupt zu Opfern solcher Misshandlungen werden konnten. Leider durften auch Eltern, die eigentlich keinen Nachwuchs verdienten, nach Belieben Kinder in die Welt setzen. Andere dagegen – so wie sie – wünschten sich von ganzem Herzen ein Kind und konnten keins bekommen. Ein eigenes Kind, das sie lieben und für das sie sorgen konnte, das war Margots größter Wunsch.

    Natürlich hätte sie Kinder kriegen können, aber sie war mittlerweile neununddreißig und hatte keinen Partner. Und es war unwahrscheinlich, dass sie in nächster Zeit einem Mann begegnen würde. Wie Margot mal wieder frustriert feststellte, war sie eine typische Vertreterin der Generation X: eine Karrierefrau, die in Bereiche vorgedrungen war, die nur wenigen Frauen offenstanden. Sie war gefangen in einem System, das Frauen wie sie mit öffentlichen Lobeshymnen überhäufte und sie für ihren beruflichen Erfolg bewunderte. Und so wurde es ihr unmöglich gemacht, einen Schritt zurückzutreten, um wichtige private Entscheidungen zu treffen, die

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